Schwarzafrika - ein verlorener Kontinent

Teil 20: Walter Michler

Für die Medien wie auch für das internationale Krisenmanagement war Schwarzafrikas Verschuldung lange Zeit kein Thema. Denn, gemessen an den Außenständen aller Entwicklungsländer, ist die Schuldenhöhe der 45schwarzafrikanischen Staaten sehr gering. Sie belief sich zum 1.1. 1987 nach OECD-Angaben auf 118 Mrd. US-Dollar und dürfte zu Beginn des Jahres 1988 knapp 130 Milliarden betragen haben. Das waren und sind rund zehn Prozent der Gesamtverschuldung der Dritten Welt oder genau soviel, wie Brasilien im Ausland aufgenommen hat. Folglich konnte die Zahlungsunfähigkeit einzelner Staaten das internationale Finanzsystem nicht tangieren, weshalb es auch kein Aufsehen gab, als sie tatsächlich eintrat.

Aus der Perspektive Schwarzafrikas sah und sieht die Situation allerdings völlig anders aus. Erstens stieg seine Verschuldung in einem geradezu atemberaubenden Tempo: Der Zuwachs von 1970 (ca. 7,5 Mrd. Dollar) bis Anfang 1987 belief sich auf rund 1.500 Prozent! Zweitens ist nicht die absolute Höhe der Verschuldung der entscheidende Faktor, sondern ihr Verhältnis zur Wirtschaftskraft. Durchschnittlich mußten die schwarzafrikanischen Länder im Jahr 1986 nach OECD-Angaben gut 40 Prozent ihrer Exporterlöse für den Schuldendienst aufwenden, prozentual wesentlich mehr als die Dritte Welt insgesamt. Das heißt: In bezug auf seine Wirtschaftskraft ist Schwarzafrikas Verschuldungssituation eine noch bedrohlichere als diejenige der meisten anderen Entwicklungsländer.

Eine weitere Sonderrolle ergibt sich aus der sogenannten Geberstruktur: Während für die Dritte Welt insgesamt der Anteil der Bankkredite etwa 60 Prozent und darüber klettert, ist Schwarzafrika zu zwei Dritteln bei öffentlichen Gebern verschuldet. Betrachtet man nur die Ärmsten der Armen, die 30 Staaten (Bevölkerung 290 Mio., Mitte 1988) mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von unter 425 Dollar, dann steigt der Anteil öffentlicher Kreditgeber auf 87 Prozent.

Zur Begriffserklärung: Öffentliche Kreditgeber sind entweder Staaten (auch staatlich verbürgte Darlehen) oder internationale Organisationen wie IWF und Weltbank (sowie deren Töchter). Nun ist in der Öffentlichkeit und sogar in entwicklungspolitisch informierten Kreisen die Meinung vorherrschend, Kredite der öffentlichen Hand an Entwicklungsländer würden praktisch nur zu Vorzugsbedingungen (niedrige Zinssätze, lange Laufzeiten) vergeben.

Dem aber ist im Falle Schwarzafrikas nicht so: Die vergünstigten Darlehen belaufen sich lediglich auf etwa 45 Prozent aller von der öffentlichen Hand ausgeliehener Gelder.

Daß der Anteil der vergünstigten Kredite relativ gering ist, hat zwei verschiedenen Gründe. Einmal beinhalten viele Kredite der internationalen Geberinstitutionen kein Vorzugselement, und zum anderen bestehen die Darlehen der nationalen Geber zu einem hohen Prozentsatz aus Exportkrediten. Exportkredite werden gewährt, damit das Empfängerland im Geberland Waren einkaufen kann. Volkswirtschaftlich ein doppelter Gewinn: Das Industrieland verdient an den exportieren Gütern und zudem noch an den Zinsen.

Konkret: Kauft das kriegsruinierte, bitterarme Mosambik im Westen beispielsweise Entladekräne für seine Häfen im Wert von 100 Mio. Dollar und nimmt dafür einen Exportkredit für seine Häfen im Wert von 100 Mio. Dollar für ein Jahr in Anspruch, dann hat es acht Millionen Dollar an Zinsen zu zahlen, obwohl die westlichen Lieferanten an dem Geschäft ohnehin mehr als 20Mio. Dollar verdienen. Schwarzafrika hat in den Jahren 1978-87 mindestens 35Mrd. Dollar allein an Zinsen gezahlt. Obwohl die Bundesrepublik mehr als zwanzig afrikanischen Ländern die aus Entwicklungshilfekrediten stammenden Schulden 1978 erlassen hat, haben die schwarzafrikanischen Staaten nach Angaben der Kreditanstalt für Wiederaufbau 500 Mio.DM als Zinsen für 'Entwicklungsdarlehen‘ an die Bundeskasse gezahlt (Zeitraum 1960-87).

Betrachtet man nur den Kreditsektor, dann betrug der Zufluß im genannten Zehnjahreszeitraum 96,53 Mrd. Dollar und der Rückfluß (Schuldendienst) 82,62 Mrd. Dollar; der Nettotransfer war mit 14 Mrd. Dollar sehr gering (Angaben ohne IWF-Kredite). Wie alle Entwicklungsländer haben auch die schwarzafrikanischen seit 1984 auf dem Kreditsektor mehr an die Geber zurückgezahlt, als sie an neuen Geldern erhalten haben. Es ist in diesem Zusammenhang durchaus begründet, die Zuschüsse außer Acht zu lassen. Diese nicht -zurückzahlbaren Entwicklungshilfeleistungen werden zu anderen Zwecken als die Kredite gegeben und können damit keine 'Amortisation‘ für den Schuldendienst abwerfen. Aber selbst wenn man diese Zuschüsse in die Beurteilung einbezieht, bleibt festzustellen, daß der Netto-Kapitalfluß während der letzten Jahre auf drei bis vier Mrd. Dollar gesunken ist - zu wenig, um ein Gebiet von der 100fachen Größe der Bundesrepublik zu entwickeln. Der seit Jahren spürbar über 20 Prozent der Exporterlöse liegende Schuldendienst macht vor allem eines deutlich: Schwarzafrika ist nicht nur verschuldet, sondern überschuldet. Bei einer ganzen Reihe von Ländern ist die Situation geradezu katastrophal. Nach Angaben der Bundesstelle für Außenhandelsinformation hatten 1986 bzw. 1987 zehn Staaten mehr als die Hälfte ihrer Exporterlöse für den Schuldendienst aufzuwenden. Absurd ist die Situation Mosambiks. Seine Schuldendienstverpflichtung betrug 1987 rund 250Prozent seiner Exporterlässe. Betroffen machen muß das Verhalten der Geber im Falle Madagaskars. Es hätte 1986 99,5 Prozent seiner im Auslandsgeschäft verdienten Devisen für die Zins- und Tilgungszahlungen ausgeben müssen; um es zu entlasten, wurde ihm eine Umschuldung eingeräumt, aber danach lagen die Verpflichtungen immer noch bei 51,3 Prozent, überstiegen mehr als das Doppelte des ökonomisch Zumutbaren.

Für den Tatbestand der Überschuldung und damit für die Bedrohlichkeit der Situation spricht auch, daß nach Weltbankangaben von 1980-87 insgesamt 90 multilaterale Umschuldungsabkommen mit schwarzafrikanischen Staaten vereinbart wurden, hinzukommen noch die bilateralen. Die Weltbank hat auf die verfahrene Lage u.a. insofern reagiert, daß sie seit 1987 von der Gruppe der „dept-distressed -countries“ spricht. Der nun auch offiziell als „Schulden -zerrüttete Länder“ anerkannten Kkategorie gehören 22Staaten an; ihre Bevölkerung zählt rund 200 Millionen Menschen (Mitte 1988). In diesen Staaten sank während der achtziger Jahre das Pro-Kopf-Einkommen um fast ein Fünftel und die Exporterlöse um die Hälfte. Außerdem bleibt ihre Situation auch künftig desolat. Denn selbst nach den konservativen Prognosen der Weltbank haben sie in den Jahren 1988-90 mehr als 30 Prozent ihrer Exporterlöse für den Schuldendienst aufzuwenden. Allein bei den langfristigen Krediten klettern die Zins- und Tilgungsverpflichtungen 1988 auf über 14Mrd. Dollar, und sie bleiben in einer Höhe von über 10 Mrd. bis einschließlich 1991 bestehen (Weltbank-Angaben). Obwohl es sich hierbei um Prognosen handelt (die freilich auf Berechnungen beruhen), steht doch eines fest: nämlich, daß die Verschuldungsproblematik des schwarzafrikanischen Kontinents künftig größer statt kleiner werden wird, wenn man die gegenwärtige Strategie - 'Erleichterungen durch Umschuldungen‘ - beibehält.

Der Text ist ein Abdruck aus: Walter Michler, Weißbuch Afrika, Verlag J.H.W.Dietz Nachf. GmbH, Berlin-Bonn 1988. Wir danken dem Autor für die freundliche Erlaubnis zum Nachdruck.