Zur Arbeitserleichterung 14 Tage dabehalten?

Dr. Kurt Gintzel war bis vor einem Jahr Chef der Bereitschaftspolizei Nordrhein-Westfalen. Er ist Mitverfasser eines Kommentars zum Versammlungsrecht  ■ I N T E R V I E W

taz: Die bayerische Staatsregierung beabsichtigt, die Dauer eines Unterbindungsgewahrsams auf 14 Tage auszudehnen. Halten Sie das für rechtlich bedenklich?

Kurt Gintzel: Das kann ich so nicht sagen. Da müßte man die Intentionen kennen, die damit verfolgt werden.

Kritiker werfen der Staatsregierung vor, den Entwurf auf Aktionen gegen die WAA maßgeschneidert zu haben. WAA-Gegner fürchten, daß er auf Blockaden, Widerstandstage und ähnliches hinzielt.

Wenn das so gedacht ist, dann glaube ich schon, daß da rechtliche Bedenken bestehen. Wenn Straftaten begangen worden sind, dann ist die Anwendung von Polizeirecht unzulässig, dann muß nach dem Strafrecht verfolgt werden. Zu diesem Zweck gibt die Strafprozeßordnung der Polizei eine ganze Reihe von Eingriffsmöglichkeiten. Aber wenn danach die Voraussetzungen für eine Festnahme und einen Haftbefehl nicht vorliegen, dann kann man nicht einfach auf das Polizeirecht zurückgreifen.

Die „Gewahrsamnahme“ sollte ursprünglich auch einzelne Personen schützen, zum Beispiel eine Frau vor ihrem gewalttätigen Ehemann.

Da muß man noch etwas weiter ausholen. In der ürsprünglichen Regelung, die auf das preußische Landrecht zurückgeht, gab es eine Formulierung, mit der man alle Bedürfnisse im Bereich der Polizei abdeckte. Danach konnte jemand in Gewahrsam genommen werden, wenn die Gefahr auf eine andere Art und Weise nicht abgewehrt werden konnte. Dann begann in den siebziger Jahren die Arbeit an einem Mustergesetzentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz der Bundesländer, und da wurde gesagt, die bisherige Regelung ist nicht exakt genug, man muß einzelne Tatbestände aufzählen.

Zum Beispiel kann man Personen in Gewahrsam nehmen, wenn das erforderlich ist, zur unmittelbaren Verhütung einer Straftat oder um ihre Fortsetzung zu verhindern. Oder zur Verhinderung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung. Oder zum Schutz einer Person - zum Beispiel um einen Selbstmord zu verhindern oder wenn die Person in einem Zustand ist, der eine freie Willensbildung ausschließt. Das sind ganz eindeutig und überwiegend Schutzvorschriften.

Man kann das an einem Beispiel deutlich machen, in dem möglicherweise sogar die 14-Tage-Frist eine plausible Erklärung bekommt. Nehmen wir den Fall einer hilflosen Person, die gar nicht mehr weiß, wer sie ist, die auch schon vermißt gemeldet worden ist. Die Polizei ist aber so schnell nicht in der Lage festzustellen, wer sie ist und wo sie herkommt. In einem solchen Fall ist es sinnvoll, daß zum Schutz dieser Person der Gewahrsam über den nächsten Tag hinaus verlängert wird. Natürlich unter der Voraussetzung, daß ein Richter dies gebilligt hat.

Auch die Verhütung von Straftaten ist Abwehr von Gefahren, aber: Man kann nur Personen in Verwahrung nehmen, die im Begriff sind, eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu begehen. Das heißt, eine „Ingewahrsamnahme“ solcher Leute ist immer nur solange zulässig, wie die Gefahr besteht, daß sie die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit begehen werden. Wenn man nun sagt, das soll auch die Fälle abdecken, wo 14 Tage hintereinander Straftaten begangen werden, dann halte ich das für rechtlich außerordentlich bedenklich. Das wäre allenfalls dann zulässig, wenn man die Leute Verwahrung nimmt und wieder freiläßt. Wenn am nächsten Tag die Gefahr wieder droht, wäre eine erneute Verwahrung zulässig. Sie muß aber beendet werden, wenn der Grund der Verwahrung weggefallen ist. Aber die Leute so quasi zur Arbeitserleichterung gleich über Nacht dazubehalten, das halte ich für rechtlich nicht zulässig.

Verstößt die geplante Regelung gegen das sogenannte „Übermaßverbot“?

Der Gesetzgeber ist genauso wie die vollziehende Gewalt an das Übermaßverbot gebunden. Das heißt, wenn der Gesetzgeber ein Gesetz erließe, das an einem Übermaß leidet, dann wäre das Gesetz verfassungswidrig. Ob das im konkreten Fall so ist, kann ich von hier aus nicht beurteilen.

Die bayerische Staatsregierung stellt sich das ja so vor, daß ein Richter nach spätestens 48 Stunden entscheiden soll, ob jemand gleich die ganzen zwei Wochen in Gewahrsam bleibt.

Wenn ich auf meine Erfahrung zurückblicke, kann ich sagen, es hat immer außerordentliche Schwierigkeiten gegeben, überhaupt einen Richter zu bekommen. Es ist ja nicht so, daß es einen Haftrichter rund um die Uhr gibt. Am schwierigsten war es in den Fällen der „Ingewahrsamnahme“. Aber unterstellt, diese Schwierigkeiten wären ausgeräumt, dann habe ich immer noch schwere Bedenken, ob der Richter das ersehen kann, was sich vor Ort in der Lage ergeben hat, um eine Entscheidung zu treffen.