Minister Scholz fliegt tief

■ Die protzig angekündigte Reduzierung des Tieffluglärms erweist sich als Kosmetik / Trotzdem beschuldigt sich Scholz des „Eingriffs in die Substanz der Luftverteidigung“ / AKWs „nicht gefährdet“ / Tieffluggegner: „Soviel Schwachsinn kann man nicht beantworten“

Berlin(taz) - Schwere Wetter sieht Bundesverteidigungsminister Scholz auf sich und den Nato -Partner Bundesrepublik zukommen. Seine am Freitag in Bonn vorgestellten Pläne zur Reduktion der Tiefflugraserei kämen einem „Eingriff in die Substanz der Luftverteidigung“ gleich, erklärte der Minister. Das werde „vom Bündnis sicher kritisch“ beurteilt werden. Er stehe jedoch bereit, beruhigte der Neuling in Kohls Kabinett sogleich die Öffentlichkeit, die „politische Verantwortung“ auf sich zu nehmen.

Das heroisch angekündigte Programm zur Entlastung der tieffluggeschädigten Bevölkerung enthält im Kern eine Verringerung der bisher jährlich 68.000 Tiefflugstunden von Bundeswehr und Allierten auf 65.700 Stunden.

Von den 23.000 Flugstunden bundesdeutscher Tiefflieger will Scholz sofort 1.000 einsparen. Zu diesem Zweck sollen die Piloten der beiden Jagdgeschwader in Wittmund/Ostfriesland und Neuburg/Donau nicht mehr gleichzeitig für Jagdbomber ausgebildet werden. Reduziert werden soll diese Doppelrolle auch in den beiden Aufklärungsgeschwadern im nord- und süddeutschen Raum.

Ab 1990/91 will Scholz den Export bundesdeutschen Tieffluglärms ins Ausland verstärken. Dazu werden 1.300 Flugstunden nach Kanada verlagert. Außerdem soll die Bundeswehr-Übungskapazität zur Luftkampfausbildung auf Sardinien in nächster Zeit erweitert werden.

Ein besonderes Bonbon hält der Minister für die gebeutelten Nordseeanlieger und die dort beheimatete Tierwelt bereit.

Die Zahl der Luftkämpfübungen über dem Festland soll durch eine Verlagerung von jährlich 1.200 Stunden über die Nordsee um ein Viertel verringert werden. Die Kriegsspiele, die in einer Höhe von 2.000 Metern ablaufen, seien von der Bevölkerung im Binnenland stets als Lärmbelästigung empfunden worden, erklärte Rupert Scholz.

Außerdem kündigte der Wörner-Nachfolger an, mit einer „multinationalen Arbeitsgruppe“ auf Staatssekretärsebene gemeinsame Lösungen für entlastende Maßnahmen suchen lassen zu wollen. Über das im Vorfeld heftig diskutierte „rollierende System“, mit dem das Tieffluggetöse gleichmäßig über die gesamte Republik verteilt werden soll, will Scholz im Herbst mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer verhandeln. Einen entsprechenden Vorschlag hatte Scholz -Vorgänger Wörner bereits Ende 1985 probeweise gestartet und war sogleich auf „erhebliche Bedenken“ auch bei seinem Parteifreund Lothar Späth gestoßen.

Bei der Gefährdung von Atomkraftwerken durch die in letzter Zeit gehäuft ungeplant und heftig landenden Jagdbomber sieht der Minister keinen Handlungsbedarf. Trotz wochenlanger Prüfungen sei kein wirklicher Überflug über ein AKW festgestellt worden.

Werner May von der Bundeskoordination der Tieffluggegner reagierte fassungslos auf die Reduzierung der Tiefflüge im Ein-Prozent-Bereich: „Soviel Schwachsinn, wie der erzählt, kann man gar nicht beantworten“.