„Laß das Private kein Raub sein!“

■ Pastor Heinrich Albertz für den Aufstand in Wackersdorf und anderswo

Schmucklos schmuddeligfahle Wände mit den Spuren früherer Wasserschäden, die Kirchenbänke mit bräunlichrosafarbenem Plastik bezogen: „Ich freue mich, in dieser schönen Kirche zu sein“, sagte gestern unerschütterlich der prominente Gastprediger in der jedenfalls schöngelegenen Stephanikirche an der Weser, und gut 80 KirchgängerInnen waren gekommen: Pastor Heinrich Albertz, Berliner Theologe im bremischen Ruhestand, modernisierte „mit einigen Anmerkungen“ einen spröden Text des Propheten Jeremia (1, 4-17) aus dem Jahre 627 vor Christus: „Wie alt der ist, kann heute niemand ohne Taschenrechner sagen.“ Da kicherte die Gemeinde dankbar.

Wie ein guter Lehrer wußte Albertz und sprach es aus, daß „wir“ uns doch schon bei den aktuellen Nachrichten „aus diesem unsäglichen Gebiet“ des damaligen Juda langweilen und uns der stets irrende Wetterbericht an Prophezeihung gerade mal reicht.

In dem Text geht es um die Berufung des Jeremia zum Propheten Gottes, der ihm sagt: „Ich kannte Dich, ehe ich Dich im Mutterleib bereitete und sonderte Dich aus“. Diese „unerhörte Zumutung“ des göttlichen Zugriffs, der Vorherbestimmung, die das Private sprengt, treffe biologische Anlagen hin, Umwelteinflüsse her - doch uns alle, irgendwann: persönlich gegenüber hilfsbedürftigen andern Menschen, öffentlich „bei Demos, Menschenketten, Unterschriften gegen Raketen oder Giftgas“. Die meisten KirchgängerInnen der mittleren und älteren Generation spazieren womöglich nicht allsonntäglich zur Panzertrasse, hörten sich den Pastor aber geduldig an, wie er zum internationalen Waffenhandel mit gleichzeitig scheinheiligen Friedensverhandlungen trocken zusammenfaßte: „Entschuldigt diese Worte von der Kanzel: Das kotzt einen an.“

Jeremia jedenfalls hatte Einwände gegen seine Berufung: „Ich bin zu jung.“ Zu jung oder zu alt, ich habe Familie oder ich bin allein, ... das durfte damals wie heute keine Ausrede sein. „Wir bringen uns um, wenn alles so weitergeht“, beschwor Albertz seine ZuhörerInnen, und „Weiter so!“ sei ja eben erklärtes politisches Programm, spielte er auf den CDU -Wahlslogan an.

Das 'Private‘ ist im Wortsinn das 'Geraubte‘. Und „wie dagegen die Wege der Menschen aussehen können, sollen!“, dafür empfahl Albertz den kompletten Jeremia-Text. Den Streit zwischen Evangelikalen und Christen, zwischen Stephani- und Martini-Gemeinde, tat er ab als „Zeugnis für die totale Unkenntnis der Heiligen Schrift“ als Geschichte des Aufstandes gegen Unterdrückung, Dummheit und Verbrechen der Mächtigen, als Aufforderung, aufzustehen und zu reden.

Weil „wir nicht Jeremia, Luther oder Calvin“ sind, empfahl Albertz Vorsicht mit dem Namen Gottes auf Marktplätzen, in Wackersdorf, an der Nordsee oder vor Giftgaslagern. Aber: „Wie der Jeremia seinem König die Wahrheit gesagt hat“ über den Untergang seines Landes, das lohne sich, ganz zu lesen: „Bei uns fängt die Angst ja bei einer Verwarnung im öffentlichen Dienst an.“

Susanne Paas