Bei einem großen Ereignis dabei sein

■ Dreieinhalb Stunden feierten 40.000 Fans im Bremer Weser-Stadion den „Boss“ der Rockmusiker: Bruce Springsteen spielte mit der „E-Street Band“: Eine euphorische Feier des Rock'n Roll

Für einen Song ließ Bruce Springsteen das Publikum sich selbst feiern: er und die Band hielten sich ganz zurück, und Tausende schwengten ihre Feuerzeuge oder Wunderkerzen - dem Pawlowschen Reflex folgend, den inzwischen jedes Rockpublikum bei langsamen Songs entwickelt hat. Aber hier kam alles zu einem überwältigenden Gesamteindruck zusammen: Es wurde langsam dunkel im Weserstadion, die Lichter bildeten leuchtende, im Takt schwingende Muster, und Springsteen sang „I'm on fire“. Er war auch selbst sichtlich bewegt, von diesem Moment, man glaubte ihm seine Ergriffenheit, und dadurch wurden alle noch mehr geeint.

Auch sonst nahm man ihm die Posen das Rock 'n Roll-Stars und jede Liedzeile ab, ob er direkt in die vorderen Zuschauerreihen

hinunterstieg - mit dem schwarzen Saxophonisten „Big Man“ schwofte, oder ein junges Mädchen aus dem Publikum holte und mit ihr auf der Bühne tanzte. Dahinter war immer echte Begeisterung für den Rock 'n Roll und eine unglaubliche Energie.

Dreieinhalb Stunden war er mit einem abwechslungsreichen Programm auf der Bühne, mit vielen Wechseln der Musikstile und Stimmungen. Die nachdenklichen, romantischen Balladen der letzten Platte wurden durch die fünf Bläser mit Soul angereichert, als Gegenpol dazu die rockiger präsentierten älteren Songs wie „Born To Run“ oder „Badlands“.

Und immer wieder wurden Coverversionen von Rock'n Roll Klassikern der frühen sechziger Jahre gespielt. Songs wie „Boom, Boom“, „Land of thousand dances“ und „Who Do You Love“, die Springsteen ohne Eitelkeiten und voller Enthusiasmus als den Ursprung seiner Musik feiert.

„Born in the USA“, aus dem oft nur der Patriotismus, aber nicht die Anklage des Vietmankrieges herausgehört haben, plazierte er so eindeutig zwischen die Antikriegssongs „War“ und Dylans „Chimes of Freedom“, daß auch noch diejenigen, die stundenlang amerikanische und merkwürdigerweise deutsche Fahnen schwengten, diese Botschaft noch erreicht haben dürfte. Im Stil der übelsten Fernsehprediger heizte der Boss die starken Männer im Publikum an, um sie dann mit seiner Bekenntniss „I'm A Coward When It Comes To Love“ in einem Abgesang an die Machos runterzuputzen.

Patti Scialfa, die neue Freun

din des Boss mit roten Haaren, kurzem Rock und langen, schwarzen Stiefeln, schien die anderen Mitglieder der E Street Band etwas in den Hintergrund gedrängt zu haben. „Brilliant Disguise“ sang sie mit Springsteen als sehr persönliches Duett, bei dem jeder merkte, wie es knisterte zwischen den beiden. Aber bei vielen anderen Stücken war Patti eher schmückendes Beiwerk, während man von Gitarist Nils Lofgren gerne noch ein wenig mehr gehört und gesehen hätte. „The Big Man“, Saxophonist Clarence Clemons, wurde angemessener gefeatured: Zum Beginn des zweiten Sets hatte er bei einem nur instrumental gespielten Soultitel fast die ganze Bühne

für sich alleine.

Der zweite Set wurde dann immer intensiver, die Stücke gingen nahtlos ineinander über, und die Stimmung stieg mehr und mehr. Bald stand kaum noch einer auf den Tribünen, alle klatschten, tanzten und sangen. Die 40000 reagierten zuletzt wie ein Organismus in dieser euphorischen Feier des Rock 'n‘ Roll. Am Schluß dann ein langes Medley mit alten songs, das mit dem unverwüstlichen „Twist and Shout“ abschloß. Danach hörte man an der Stimme von Springsteen, das er fertig war, und das merkte jeder; der letzte Beifall endete schnell, auch das Publikum war fertig.

Das Konzert war technisch

perfekt organisiert. Mit einem guten, aber nicht zu lauten Sound aus den riesigen Türmen der Anlage, und auch auf den hintersten Plätzen konnte man auf der Videowand gut eine mit fünf Kameras aufgenommene Filmversion des Konzerts sehen. Der Einlaß, die Arbeit der Ordner im Stadion, alles lief sehr kontrolliert ab. Und auch das Wetter spielte diesmal mit, die drohenden Wolken zogen schnell vorbei.

Die Premiere des Weserstadions als Spielstätte für Open Air Konzerte hätte kaum beeindruckender sein können. Gerüchten zufolge wollen im nächsten Jahr die Rolling Stones dort spielen. Na, denn man tau.

Willy Taub