Franzose zwischen Quartier Napoleon und Big Eden

■ Es gibt neuen Streit, ob man die alliierten Truppen in Berlin reduzieren soll oder nicht. Die AL meint ja, die CDU meint nein. Elisa Klapheck fragte den französischen Wehrpflichtigen Pierre L. am Rande des Quartier Napoleon. Er meint:

„ Mir liegt überhaupt nichts daran, diese Stadt zu verteidigen. Die Russen kommen sowieso nicht. Ich wollte nach Berlin, weil ich gern reise. Nun bin ich schon neun Monate hier; in drei Monaten kehre ich zurück nach Frankreich und studiere weiter Elektro-Technik. Von Berlin habe ich überhaupt nichts mitbekommen.

Wenn du jeden Morgen um halb sechs aufstehen mußt und dann den ganzen Tag mit dem Gewehr und dem schweren Gepäck durch den Wald in Heiligensee herumrennst, willst du nachts schlafen. Außerdem mußte ich an ziemlich vielen Wochenenden arbeiten, Wache stehen oder so. Ich bin im 46. Regiment der Infanterie. Das ist, wo keiner hinwill. Man behandelt uns hier wie Tiere, schreit uns andauernd an, jagt uns ständig herum.

Einmal waren wir in Ost-Berlin. Die Leute sind dort überhaupt nicht so arm und unglücklich, wie immer behauptet wird. Wenn ich wählen könnte: ein Leben in Ost-Berlin oder ein Leben in der Kaserne, würde ich mich für Ost-Berlin entscheiden.

Unseren Vorgesetzten ist es egal, ob wir etwas von der Stadt mitbekommen. Hauptsache, wir gehorchen ihren Befehlen. Einige von ihnen kennen Berlin so gut wie gar nicht. Sie kaufen alles, was sie brauchen, im 'Economat france‘ und gehen abends für drei 'Deutschmark‘ ins französische Kino 'L'Aiglon‘.

Ein paar meiner Kameraden haben eine deutsche Freundin, eine der kleinen Berlinerinnen, die mit französischen Soldaten gehen. Das ist eine ganz spezielle Sorte Mädchen. Man lernt sie im 'Big Eden‘ auf dem Kudamm kennen. Dort geht am Wochenende das komplette Quartier Napoleon hin. Am Samstag abend siehst du auf der Tanzfläche nur glatt rasierte Franzosen und natürlich deren Mädchen. Die sind meistens blond und haben Dauerwellen. Sie benutzen jede Menge Rouge und tragen weiße, weite Hosen mit breiten Gürteln.

Auf unser Zimmer können wir sie nicht mitnehmen. Das ist verboten. In jedem Zimmer wohnen drei bis vier Jungs. Die meisten sind Vollidioten, aggressiv und vulgär. Um sie zu verstehen, mußt du dir zwölfjährige Kinder vorstellen, die Krieg spielen, es lieben, sich auf die Erde zu werfen und durch den Matsch zu robben. Zehn Prozent der Leute denken über diese Welt nach. Neunzig Prozent haben eine große Null im Kopf. Wenn man sie fragt, wie findet ihr Berlin, sagen sie: Ääh ... Berlin ist groß, in Berlin gibt es schöne Mädchen, in Berlin gibt es eine Mauer. Doch weshalb es eine Mauer gibt, wissen sie schon nicht.

Bevor ich nach Berlin kam, war ich für Marchais. Jetzt bin ich gegen den Kommunismus. Das hat nichts mit den Russen zu tun. Ich bin einfach dagegen, daß man etwas für solche Primitivlinge wie meine Kameraden tut. Anarchie wäre besser. Jeder macht dann, was er will, und läßt den anderen in Ruhe.

Das Lenne-Dreieck? Ja, ich habe davon gehört. Es soll an der Mauer liegen. Ich habe es gesucht, aber nicht gefunden. Es wurde doch besetzt, oder nicht? Uns erreichen nur Gerüchte. Es gibt Radio aus Frankreich. Da hört man aber nichts über Berlin. In der Berliner Zeitschrift für das französische Militär 'La Gazette de Berlin‘ steht nur drin, daß der Friseur mittwochs billiger ist. Politisches findest du da nicht. Auch keine Konzertkritiken über Michael Jackson oder Pink Floyd. Daß es diese Konzerte gegeben hat, habe ich nur durch einen Freund, der ein wenig Deutsch spricht, erfahren.

Das einzige, was ich eigentlich in der ganzen Zeit von den Deutschen mitbekommen habe, sind ihre komischen, unhygienischen Klos. Wir haben sie in unseren Kasernen. In Frankreich gehen die Klos direkt herunter. Aber bei den deutschen Klos scheißt man erst auf ein Zwischenstück und muß dann abziehen. Man hat uns erklärt, die Deutschen hätten diese Klos so konstruiert, weil sie das, was sie machen, betrachten wollen.“

Das Gespräch führte Elisa Klapheck