Stammheim-Kameraden-betr.: "Blockade: Doch kein Freispruch", taz vom 22.7.88

betr. „Blockade: Doch kein Freispruch“, taz v. 22.7.88

Gemessen an den überzeugenden Argumenten, die die Verteidigung zugunsten der 73jährigen Ursula Schmitt-Braul wegen ihrer Blockade in Mutlangen im Dezember 1985 vorgebracht hat, hat sich der 3. Strafsenat des OLG Stuttgart Null Mühe gemacht mit der Begründung seiner Entscheidung vom 21.7.1988, das Freispruch-Urteil des Landgerichts Ellwangen aufzuheben. Selbst die armseligste Urteilsbegründung aus der Fließbandproduktion des Amtsgerichts Schwäbisch Gmünd ist eine kleine juristische Meisterleistung im Vergleich zu dem, was der Vorsitzende Richter Knospe vorgetragen hat, um der Revision der Staatsanwaltschaft stattzugeben.

Nach der bisher vom 3. Strafsenat des OLG Stuttgart vertretenen Auffassung, „daß nur ein erhöhtes Maß sittlicher Mißbilligung“ die vom Nötigungsparagraphen abverlangte sogenannte „Verwerflichkeit“ begründen könne, hätte das Ellwanger Freispruch-Urteil eigentlich vor dem OLG Bestand haben müssen.

Warum also dieser Kotau vor der Entscheidung des 1. Strafsenats des BGH vom 5.5.88? Mit großer Wahrscheinlichkeit spielte hintergründig (wie in dem taz -Bericht vom 22.7.88 bereits angedeutet) vor allem die Stammheim-„Kameraderie“ der ehemaligen Vorsitzenden Richter in RAF-Prozessen (Knospe heute im 3. OLG-Senat Stuttgart, Foth heute im 1. BGH-Senat) die entscheidende Rolle. Was zählen da schon Gewaltfreiheit und ehrenwerte Ziele? Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

Sicher wird diese Stuttgarter Entscheidung ebenso wie der verfassungswidrige BGH-Beschluß vom 5.5.88 (der ehemalige Bundesverfassungsrichter Hirsch in der taz) vor dem Bundesverfassungsgericht nicht bestehen können. Allerdings scheint nun für die Mutlangen-BlockiererInnen der Instanzenweg Amtgericht Schwäbisch Gmünd, Landgericht Ellwangen, Oberlandesgericht Stuttgart erneut verstopft. (...) Die Richter in Schwäbisch Gmünd und Ellwangen müssen sich, wenn alle BlockiererInnen bei der Stange bleiben, noch jahrelang mit Prozessen herumschlagen, und da könnte sich auch „juristisch gesehen“ der Wind immer noch drehen, zumal es hier um politische Justiz geht und politsche Verhältnisse veränderbar sind.

Wichtiger aber ist, daß die Friedens- und Ökologiebewegung sich von dieser obrigkeitsstaatlichen und verknöchterten Justiz auch weiterhin nicht einschüchtern läßt. Die Blockade des Giftgaslagers in Fischbach war hierfür das erste nachdrückliche Zeichen nach dem BGH-Beschluß. Und es geht weiter! Neckarwestheim in diesen Tagen. Das AKW Brokdorf am Hiroshima-Gedenktag. Die Atomraketen in Großengstinen am Nagasaki-Gedenktag. Die Großblockaden im Oktober und im November bei der Bunker-Baustelle für die Nato -Kriegszentrale in Linnich-Glimbach. Kurz: Der zivile Ungehorsam muß weitergehen, solange ABC-Waffen und eine zerstörerische Technologie die Menschheit und das Leben auf der Erde bedrohen. (...)

Klaus Vack, Sekretär des Komitees für Grundrechte und Demokratie, Sensbachtal

In einem circulus vitiosus „Nötigungen“ offenbart sich der Satz aus Goethe's Faust: „Es erbt sich Gesetz und Recht wie eine ewige Krankheit fort.“

Seit Jahrzehnten nötigt eine Besatzungsmacht einen demokratisch verfaßten Staat atomare und Giftgas -Massenvernichtungsmittel auf dem Territorium dieses Landes einsatzbereit zu lagern. Ungeachtet dieses „Nötigungs -Straftatbestandes“ sieht sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nach einer Klage aus dem Jahr 1982 - nach Recht und Gesetz - genötigt, im Urteil und Beschluß vom 29.10.1987 (sinngemäß) zu verkünden: „Die Lagerung von tausenden Tonnen der Nervengifte Sarin und VX zum Zwecke der Abschreckung sei verfassungsrechtlich zulässig, Bonn müsse die Hoheitsrechte eines fremden Staates (USA) (...) auf dem Boden der Bundesrepublik respektieren, da dies im Rahmen des dem NATO -Vertrag zugrundeliegenden Bündnisprogramms liege“. (...)

In dieser Situation sehen sich Menschen in der Friedensbewegung zu Recht genötigt, zu Demonstrationen und zum Sitzenbleiben für den Frieden aufzufordern, um den „verordneten“ Nötigungen entgegenzutreten. Bestraft werden aber nach „geltendem Recht und Gesetz im Nachfolgestaat der Richter und Henker“ nicht die Nötiger, sondern die Genötigten. Was ist von Recht und Gesetz zu halten, das zu Massenvernichtungsmitteln genötigt, diese legitimiert, die Menschen aber, die sich mit „körperlichem Einsatz“ dagegen stemmen, wie die 73jährige Renternin Ursula Schmidt-Braul, wirtschaftlich kaputt, mundtot und gefügig machen will?

K.H. Klaiber, Würzburg