ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  Entsetzlich: Beule in Berlin - Krieg in der Disco

Schade, eigentlich wollte ich was Nettes über die Rattlesnake Men schreiben. Daß sie mir 1987 beim Berliner Senatsrockwettbewerb als eine der wenigen Bands positiv aufgefallen sind. Daß ich die Art, wie drei Anfangzwanziger IHRE Punk-Musik mit Rock-a-billy Elementen und einem Schuß melodischer Pop-Musik verarbeiten, ganz witzig finde. Ich hätte diese Mischung Speed-Fun-Punk genannt, weil man von dem rasanten Tempo schon beim Zuhören ins Schwitzen kommt, und eventuell etwas von meinen Jugenderinnerungen eingeflochten, als wir uns noch mit der damaligen Fun-Punk-Musik lustig zu Tode saufen wollten. Dann hätte ich spekuliert, ob die drei ihre erste LP „Sahara Tour '88“ mit dem Geld finanziert haben, das sie beim Senatsrockwettbewerb ergatterten, und hätte erwähnt, daß der mit Drums, Gitarre und Baß durcheinandergeschüttelte Klang nie auf CD erscheinen darf, weil die zehn Stücke halt auf rabiate Reinhaltung von Garagensound pochen.

Ja, ich hätte noch nicht einmal sachlich begründen können, warum mir diese Platte wieder gute Laune macht - vielleicht weil keiner abgetörnt vom Frust der Welt und vom altbekannten Scheiß-System rumkrakelt? Denn komischerweise handeln die Texte vom unglücklichen Liebesleid, von Einsamkeit oder einfach nur vom banalen Lotterleben („I'm a trucker“ ist als schunkeliger Shanty verpackt). Mir wäre überhaupt nichts Schlechtes aufgefallen. Aber dann grüßen The Rattlesnake Men auf ihrem Waschzettel unseren talentierten taz-Kollegen mit den Worten: „Beulenpest und Magenpförtnerkrampf an Wixlaf D. (10 J. Einzelhaft bei Schreibverbot).“ Soll man da noch nett sein?

Relativ Unpersönliches dagegen, fast schon Frostiges erschien letztens vom Hannoveraner Label SPV. Auf der Compilation-LP steht die Aufforderung „This is electronic Body-Music for you to dance, move and enjoy“. Besonders freut man sich darüber, daß gleich 11 Gruppen mit dem eigentümlichen Industrie-Techno-Dancefloor Dschingderrassabum vorgestellt werden, denn oft kann man die monotone Schlacht an Sequencern und Synthesizern von einer einzigen Band auf LP gar nicht ertragen. Hier hat man die Auswahl, auf wen man sich denn eventuell näher einlassen will.

Denn obwohl alle mit elektronischer Rhythmusmaschinen-Suppe kochen, klingen doch nicht alle gleich. Man unterscheide, ob man's staccato, brutal, schwül oder schwul haben will. Front 242, The Neon Judgement und a;Grumh aus Belgien, und The Cassandra Complex aus Leeds/England dürften ja fast schon ein Begriff sein, auf diesem Sampler sind sie leider nicht gerade mit dem besten Material vertreten. Aus Kanada präsentieren sich Skinny Puppy ziemlich gruftenschändermäßig, während The Weatherman (mit einem Ex-Tuxedomooner) aus Kalifornien eine wahre Entdeckung sind. Parade Ground aus Belgien, Chris and Cosey (aus Throbbing Gristle Trümmern) können sich auch hören und tanzen lassen. Als Wunderkind wird Borghesia „from behind the iron curtain“ vorgestellt, ich glaube, die kommen aus Jugoslawien. Alles in allem, SPV wirbt mit „Pay no more than DM 9.95“ und wer mal das Seichte nicht mehr ertragen kann, ist hier mit der knallharten High-Tech Tanzflächen-Kost fürs erste gut eingedeckt.

Connie Kolb

The Rattlesnake Men „Sahara Tour '88“, EfA-Vertrieb

Versch.: „Electronic Body Music“, SPV