Italien ergibt sich der Mafia

Die Ermittler des Antimafia-Pools wollen versetzt werden / Polizeiliche Arbeit von oben erschwert / Gleichgültigkeit der Regierung und neue Blutserie  ■  Aus Palermo Werner Raith

Mit einem spektakulären und verzweifelten Schritt haben am Samstag abend Ermittler des sogenannten „Antimafia-Pools“ in Palermo die bereits ferienträge Öffentlichkeit wachgerüttelt: Angeführt von Untersuchungsrichter Giovanni Falcone (49) - der den ehemaligen Mafia-Boss Tommaso Buscetta zu seinen Geständnissen bewegt und damit die drei sogenannten „Maxi-Prozesse“ gegen insgesamt mehr als 700 Angeklagte ausgelöst hatte - haben die Juristen der Antimafia-Spezialgruppe um ihre sofortige Versetzung gebeten. Gibt der Oberste Richterrat den Gesuchen statt, steht Italien ohne irgendein funktionales Instrument zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität da; und dies in einer Zeit, in der die Mafia-Kriege bereits wieder täglich neue Opfer fordern: Innerhalb der letzten vier Wochen waren es mehr als 30Tote.

Der Antimafia-Pool besteht aus sechs Staatsanwälten

beziehungsweise Ermittlungsbeamten. Er wurde Anfang der 80er Jahre, als es zeitweise mehrere hundert Morde jährlich gab, eingerichtet und hat den bisher einzigen wirklichen Erfolg gegen die Fortsetzung Seite 6

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Mafia errungen - die Teilzerstörung der durch den Einstieg in Drogen- und Waffengeschäfte Ende der siebziger Jahre hochgekommenen Clans der Greco, Marchese und der Corleonesier. Zwanzigmal Lebenslänglich und mehr als zweieinhalb Jahrtausende Freiheitsstrafe bekamen die gut 300 im ersten „Maxi-Prozeß“ Schuldiggesprochenen aufgebrummt, und erstmals wurde gerichtsnotorisch das - in Sizilien gerne geleugnete - „Vorhandensein einer kriminellen Organisation“ namens Mafia (auch 'Cosa nostra‘ genannt) festgestellt.

Doch seither, so die Meinung der Mafia-Fahnder, hat das Interesse speziell der Politiker und auch der obersten Justizbehörden in Rom so spürbar nachgelassen, daß ein wirklicher Kampf gegen die Mafia nicht mehr möglich ist. Erstes Alarmzeichen war bereits Mitte vorigen Jahres der völlig überraschende Entzug der Eskorten und Leibwachen für einen Teil der gefährdeten Ermittler und Richter. Dann zeigt sich speziell nach einer Reihe spektakulärer Morde an Staatsrepräsentanten - unter anderem dem ehemaligen palermitanischen Bürgermeister Giuseppe Insalaco und dem Polizeiagenten Natale Mondo Anfang des Jahres -, daß der Staat weder weitere Mittel zum Kampf bereitstellen noch allzuviel Aufhebens um die Morde machen wollte.

Kurz danach wurde dann auch nicht, wie eigentlich zu erwarten war, Giovanni Falcone auf den freiwerdenden Posten eines Obersten Ermittlungsrichters der Region Sizilien befördert, sondern ein im Ermittlungsgebiet völlig unerfahrener 68jähriger Gerichtspräsident aus dem innersizilianischen Caltanisseta. Und schließlich blutete der Antimafia-Pool in den letzten Monaten durch den Entzug bewährter Mitarbeiter immer mehr aus oder wurde durch aufgedrängte neue Beamte verunsichert, zu der die bisherigen Fahnder noch kein Vertrauen hatten.

Vorige Woche nun gab der Ermittlungsrichter Paolo Borsellino aus Trapani, bis voriges Jahr selbst Mitglied des Pools, Generalalarm. Die Mafia, so Borsellino, habe Sizilien längst wieder in der Hand, und der Staat habe sich dem ergeben. Tatsächlich betreibt eine starke Fraktion von Amtsjuristen aus Palermo und ihre Lobby im Obersten Richterrat - angeführt vom ehemaligen Staatsanwalt Gerace seit Monaten unter dem Vorwand einer „Normalisierung“ die Einschränkung aller Antimafia-Spezialisten. Nach ihrer Meinung sollen sämtliche Sondereinheiten aufgelöst werden und alle Ermittler sich grundsätzlich allen Delikten widmen, nicht nur der Mafia. Der hochspezialisierte, weltweit informierteste Mafia-Kenner Falcone soll sich demnach auch Fahrraddiebstählen und Schlägereien am Fußballplatz widmen. Die Tendenz zur Zerstörung einer jahrelangen Kleinarbeit ist überdeutlich.