Fiats Supervertrag - eher ein Superbeschiß

Die Anbindung der Löhne an das „Wohlergehen der Firma“ bedeutet keine rosigen Aussichten / Gewerkschaftsbewegung gespalten / Streikbereitschaft absolut mau  ■  Aus Rom Werner Raith

„Die tun so“, murrte Italiens bekanntester Gewerkschaftstheoretiker Vittorio Foa, „als ob sie wieder Biß gekriegt hätten. Dabei müssen sie zusehen, daß ihnen nicht auch noch der letzte Zahn ausfällt.“

Der ehemalige Vorsitzende der größten italienischen Gewerkschaft (er führte die kommunistisch dominierte CGIL in den erfolgreichsten Jahren der Arbeitskämpfe in den sechziger und frühen siebziger Jahren) spricht vom Verhalten seiner CGIL bei den Verhandlungen zum neuen Tarifvertrag mit Italiens größtem Industriekonzern Fiat, mithin für 160.000 Beschäftigte. Die FIOM, Metaller- und Mechanikerabteilung der CGIL, hat die Unterschrift unter das Dokument verweigert, während die sozialistische UIL und die katholische CISL das „historisch einzigartige Kunstwerk der Fiat-Leitung“ (so das Satireblatt 'Satyricon‘) schnell unterschrieben: „Wir haben den Arbeitern versprochen“, so ein Kommunique der sozialistischen UIL-Bosse, „daß sie den Vertrag noch vor den Ferien bekommen, und ecco, da ist er.“ CISL-Vertreter sehen das noch rosiger: „Den Arbeitern ist nun die in einem einzigen Betrag zu zahlende eine Million Lire (rund 1.350 Mark) lieber als eine neue langwierige Verhandlungsrunde im Herbst.“

Da mag was dran sein - Fiats Arbeiter gehören seit langem nicht mehr zu den rührigsten Gewerkschaftsmitgliedern: Seit 1980 ein Generalstreik kläglich zusammenbrach und 40.000 Arbeitswillige durch die Straßen Turins zogen, geht in Sachen Arbeitsniederlegung beim Aushängeschild italienischer Industrialität nichts mehr - selbst der bescheidene Versuch von ein paar Stunden „Warnstreik“ brach im vergangenen Juli schon nach wenigen Minuten wieder zusammen. Fiat-Arbeiter verstehen sich als Elite-Werktätige und insofern schon als kleine Kapitalisten, identifizieren ihr Schicksal mit dem ihres Konzerns und sehen Gewerkschaften eher als ungute Eindringlinge an, die nur Unruhe stiften, wo die Patriarchen Gianni und Umberto Agnelli zusammen mit ihrem Generalmanager Cesare Romiti doch nur Gutes mit den Schaffenden im Sinn haben.

Und die im Stil renaissancehafter Principes in Turin waltenden Auto-, Flugzeug- und Waffenhersteller tun auch alles, dieses rührende Bild weiter zu festigen: Weltweites Aufsehen hat denn auch gerade im eben teilunterzeichneten Vertrag die Klausel erregt, daß die Arbeiter „Zuschläge erhalten, die sich am jeweiligen Wohlergehen des Konzerns orientieren“.

Eine „Anbindung der Gehälter an die Profite der Firma“, jubeln CISL und UIL, „wo gibt es das schon? Unerklärlich, warum die FIOM nicht unterschreiben will.“ Nicht ganz so unerklärlich.

Daß die CGIL diesmal den von Romiti unterschriftsreif vorbereiteten Vertrag im Gegensatz zu früheren Jahren nicht mitträgt und die Verhandlungen im allerletzten Moment einige Zeitungen hatten bereits die vollzogene Unterschrift gemeldet - doch noch platzen ließ, hängt sowohl mit einer absoluten Torschlußpanik der Gewerkschafter wie mit dem neuen Kurs der Kommunistischen Partei seit der Übernahme des Sekretariats durch Achille Occhetto zusammen. Der Katzenjammer rührt von den Massenaustritten aus der CGIL her - seit sich speziell im Öffentlichen Dienst Basiskomitees (COBAS) immer erfolgreicher durchsetzen und die von den Gewerkschaften ausgehandelten Verträge reihenweise zur Makulatur machen, ist das Vertrauen in die Schlagkraft der Massenorganisationen dahin.

So sucht die neue PCI-Leitung ebenso wie eine Anzahl weitsichtiger Syndikalisten verzweifelt nach Möglichkeiten, die unzufriedene Basis wieder zu sich zurückzuholen. Und da haben sie denn auch langfristig gerade in jenem Kernstück der „Anpassung an das Wohlergehen von Fiat“ eine Chance erspäht, sich endlich wieder einmal arbeitergerecht zu profilieren.

Tatsächlich ist genau dieser - weltweit voller Naivität als „Jahrhundertklauses“ gefeierte - Passus der Pferdefuß des gesamten Fiat-Pakets, das neben der sofort zu zahlenden Million für 1988 auch noch geringfügige Verbesserungen bei der Kompensation von Überstunden und Nachtschichten, die Urlaubsregelungen sowie die Einsetzung einiger Kommissionen zwecks Verbesserung der Arbeitsbedingungen enthält.

Erstens, so die Erkenntnis der Unterschriftsverweigerer, ist in dem Vertrag an keiner Stelle genauer vermerkt, wie denn das Wohlergehen („andamento“) Fiats definiert ist und in welchem Prozentsatz davon die Arbeiter an diesem ominösen Wohlergehen teilhaben werden; und zweitens - noch wichtiger

-erwarten nahezu alle Wirtschaftsexperten für die nächsten Monate eine Stagnation, ein Teil von ihnen sogar einen massiven Einbruch gerade in den von Fiat beherrschten Sektoren. Der Automarkt beginnt sich wieder einmal zu sättigen, Flugzeuge und Waffen sind im Zuge der Abrüstungsverhandlungen und dem möglichen Frieden im Golf derzeit nur schwer abzusetzen, die internationale Konkurrenz vor allem aus Fernost setzt den italienischen Industriellen immer mehr zu, und der europäische Markt ab 1992 wird das kaum auffangen können.

So könnten die Fiat-Arbeiter sich unversehens vor der Situation sehen, nicht nur nichts dazuzubekommen, sondern von Agnelli und Co. geradezu in die Pflicht genommen zu werden und auf Lohnkürzungen einzugehen, wenn schlechtere Zeiten kommen. Die Rechnug der Fiat-Chefs war offenbar recht einfach: noch sind die Auftragsbücher so gefüllt, daß man die Lohngleitung nach oben einige Monate wird durchhalten können - um dann, beim voraussichtlichen Absinken der Einnahmen unter Hinweis auf die bisherige Vertragserfüllung sofort massive Einschränkungen gegen die Arbeiter durchsetzen zu können. Für die FIOM-Leute aus der CGIL, so Vittorio Foa, bedeutet das freilich im Augenblick wenig Trost - „Was wollen sie denn nach den Ferien tun?“

Ihre sicherlich zutreffenden mittelfristigen Prognosen haben sich bis dahin noch nicht verifiziert, die Lage ist dieselbe wie vor dem Urlaub. Fiat wird weiter auf der Unterschrift bestehen, und den CGIL-Gewerkschaftern bleibt nichts anderes, als einen tarifvertragslosen Zustand zu akzeptieren oder klein beizugeben. Denn bei einem Streik bliebe „wohl allenfalls die Gewerkschaftszentrale leer, nicht aber nur eine Fiat-Abteilung“.