Schuldspruch für Honduras

Der mittelamerikanische Staat wurde wegen Entführung und Ermordung eines „Verschwundenen“ schuldig gesprochen / Zwei Hauptbelastungszeugen waren ermordet worden, bevor sie aussagen konnten  ■  Von Thomas Schmid

Berlin (taz) - In Costa Rica wurde am Wochenende ein Stück Rechtsgeschichte geschrieben. Zum ersten Mal in Lateinamerika wurde ein Staat förmlich schuldig gesprochen. Auf der Anklagebank saß Honduras. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verurteilte den mittelamerikanischen Staat wegen Entführung und Ermordung des Studenten Manfredo Velasquez Rodriguez zu Schadenersatz an dessen Familie. Das Gericht hat nun noch über drei weitere Fälle von „verschwundenen“ Honduranern zu entscheiden. Sie stehen stellvertretend für die über 140 Personen der politischen, gewerkschaftlichen und studentischen Opposition, die zwischen 1981 und 1984 nachweislich von honduranischen Sicherheitskräften verschleppt und umgebracht wurden.

140 verschwundene und ermordete Personen - das ist viel, aber nicht im mittelamerikanischen Kontext. Für El Salvador und Guatemala liegen die entsprechenden Zahlen viel höher. Daß trotzdem gerade Honduras auf die Anklagebank gesetzt wurde, ist besonderen Umständen zu verdanken. Juristisch gesehen ist ein Fall von „Verschwindenlassen“ ja schon deshalb komplizierter als ein Mord, weil die Leiche fehlt. „Der einzige mögliche Beweis dafür, daß jemand verschwunden ist, besteht darin, daß er wieder auftaucht“, hatte im Zusammenhang mit dem Prozeß Olmeda Rivera, Beraterin des honduranischen Außenministeriums, noch gehöhnt. Nun, eine „Verschwundene“, Ines Murillo, ist 1983 dank glücklicher Umstände nach 80tägiger Geheimhaft wieder aufgetaucht - und trat im letzten Jahr vor dem Menschenrechtshof als Zeugin auf. Begleitet war die junge Anwältin von Florencio Cabellero, der sie in der Geheimhaft verhört hatte. Die Aussagen Caballeros, der 1986 nach einem Anschlag auf sein Leben ins Exil floh und heute in Kanada lebt, waren sensationell. Im Detail berichtete der honduranische Ex -Offizier des Bataillons 3-16, einer militärischen Sondereinheit, die als Todesschwadron agierte, über Verschleppungsmethoden, über die innere Struktur seiner Todesschwadron, über Geheimgefängnisse und nannte Opfer und Täter beim Namen.

Die honduranische Regierung nahm das Urteil an. Doch wies sie darauf hin, daß zum Zeitpunkt der Entführung des Studentenführers Velasquez Rodriguez die Militärs das Land regierten, für deren Taten sie selbst deshalb nicht verantwortlich sei.

Die Karrieren der Täter und die Kontinuität der Repression lassen sich allerdings schlecht verleugnen. Der damalige Chef des berüchtigten Bataillons 3-16, Alexander Hernandez Santos, ist heute Leiter der Polizeiakademie des Landes. Zwei Zeugen, die im Prozeß aussagen sollten und vermutlich ebenfalls den Staat Honduras, belastet hätten, wurden rechtzeitig beiseite geräumt: Der Geheimdienstler Jose Isaias Vilorio wurde Anfang Januar von Kugeln durchsiebt in einem Vorort der Hauptstadt Tegucigalpa aufgefunden. Miguel Angel Pavon, Präsident des „Komitees zur Verteidigung der Menschenrechte“ von San Pedro Sula, der zweitgrößten Stadt des Landes, wurde zwei Wochen später Opfer eines Killerkommandos.