Geisterschiffe

■ Kein Hafen für Gift- und Atommüll

Der Begriff „Entsorgung“ hat Karriere gemacht. Er ist zum beliebten Kürzel geworden für alle Formen katastrophaler, sprich unbewältigter Beseitigung materieller und geistiger Produkte bis hin zur Entsorgung der deutschen Geschichte. Entsorgung ist per se Schimpfwort und Skandal, Entsorgung ist das Merkmal der modernen, an ihren eigenen Exkrementen erstickenden Industriegesellschaft.

In diesem Jahr hat die Entsorgung dramatische Höhepunkte erreicht und bis dahin unbekannte Ausdrucksformen gefunden. Die mit Abstand eindrucksvollste ist die Giftmüll- und Abfall-Odyssee durch die Geisterschiffe der Moderne. Den Schiffsbauch voll mit allem, was tot und krank macht, dümpeln die Frachter kreuz und quer durch die Meere der Welt und finden keinen Hafen und keine Herberge. Wo früher Pest und Cholera oder der böse Fluch des „Fliegenden Holländers“ die Einfahrt blockierten, sind es jetzt 2,3,7,8 -Tetrachlordibenzodioxine, polychlorierte Biphenyle oder „leicht strahlender Bauschutt“ wie jetzt in der Türkei und in Rumänien.

Die Geisterschiffe ohne Heimat vermehren sich in solch schwindelerregendem Tempo, daß eine neue Kategorie in die Giftmüll-Zwischenlager-Statistiken aufgenommen werden muß: der vagabundierende Abfall. Das ist Gift, das niemandem gehört, das niemand produziert, niemand weggekippt oder verbrennt. Gift, das überall und nirgends ist, das durch sein Unterwegssein aus jeder Erfassung herausfällt und deshalb streng genommen gar nicht existiert.

Die Geisterschiffe mit Gift- und Atommüll sind der neue Schrecken der Meere. Dioxin statt Skorbut, Atommüll statt Loch Ness. Travens „Totenschiff“ muß in weiten Teilen neugeschrieben werden.

Manfred Kriener