ABGEHANGENER DEUTSCHROCK

■ Die „Seuche“ und „Caspar Brötzmann Massaker“ im Naturtheater in der Hasenheide

Zwischen Geranienpötten, die, in der Heide stehend, mehr an einen Friedhof als an Mutters Balkon erinnern, wurde vergangenen Sonntag der Traditionen des deutschen Popsongs gedacht, wie wir sie von so unterschiedlichen Beispielen wie „Marmor, Stein und Eisen bricht“ oder „Wir sind die Roboter“ oder „Spoon“ kennen. Zwei davon - aus der jüngsten Vergangenheit teutonischen Liedguts, sozusagen von der „Müngersdorfer Stadion“ - direkt in die „Yü-Gung„-Phase übergehend - wurden in der Hasenheide vorgetragen. Übrig blieb übrigens der Blues.

Tradition I: Die Seuche

Alte Zeiten. Deutsch-Punk-Rock, vorgetragen von Leuten, die immer noch am gleichen Ort ihr Bier kippen. Deutsche Volksmusik? Ja, wahrscheinlich. Musik, die nach Leberzirrhose riecht. Nicht schlecht, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, die Gitarren anzupacken und loszulegen. Punk‘ztrocker sein, das ist schon was. Aber hier erleben wir das alte Udo Lindenberg-Syndrom, den mangelhaft -musikalischen Umgang mit der deutschen Sprache, die Worte im richtigen Moment dehnen und ziehen zu können, Melodie zu geben. Und auch genügt es nicht, nur zu wissen, wie man eine Gitarre in den Händen hält. (Wer kennt noch Meikel Clauss, den alten KFC- und Nichts-Gefährten, der die Freiheit, für seine Gitarre zu kämpfen, wörtlich nahm und mit seiner späteren Band Belfegore zuviel auf einmal wollte?). Es geht eben nicht nur um den Spaß, den Musikmachen macht, sondern auch um Auseinandersetzung mit Musik, die den Spaß ja nicht verderben muß, sondern im Gegenteil fördern kann.

Die Seuche machen Punkrock wie vor zehn Jahren, was noch nicht mal unmodern ist, wenn man an die Rückkehr der Altherrenliga (999, Stiff Little Fingers, UK Subs, Sham 69 und Zeltinger!) denkt, aber es ist uninteressant geworden. Vor zehn Jahren konnte man sich die meisten Punkbands anhören, weil die meisten Rockbands keinen Biß mehr hatten, und die Punkrocker, auch wenn sie nicht gerade einfallsreich spielten, wenigstens beißen konnten. Das ist vorbei, allerdings nicht, weil die Rockmusik heute keinen Arschtritt mehr nötig hätte, das hat sie immer, sondern weil es Bands gibt, die heute viel besser treten können. Es gilt nicht mehr nur mit einem Das-können-wir-auch-Bewußtsein die Gitarren auszupacken, denn das hat nur Sinn, wenn man auch versucht, das Bewußtsein in Richtung Freiheit-in-der-Musik zu erweitern. Das ist der Blues.

Tradition II: Caspar Brötzmann Massaker

Es war schon immer da, das typische Verlangen, nach der Bildenden Kunst auch in der Musik die Grenzen zu sprengen, sie aufzulösen in ihrer Substanz, zur Abstraktion zu führen, so daß keine Richtung mehr erkennbar wird, und nur ein Aggregatzustand übrigbleibt. Absolute Musik, die mit unerhörtem Lärm die Stille hörbar macht, was durchaus jazzig gemeint ist, von den Einstürzenden Neubaurten neu erdacht worden ist und in Amerika mit Bands wie „Big Black“, „Sonic Youth“, „Pussy Galore“ oder den „Butthole Surfers“ ihre Fortsetzung findet. Auch Caspar Brötzmann knüpft mit seiner Band Massaker an diese Idee an, die wie alle Künste, die nach Purem streben, übel riecht, auch wenn es sich eigentlich um eine Blues-Idee handelt, die derzeit mit dem Ur-Gitarristen Sonny Sharrock ihre Vollendung zu finden scheint. (Gerade den aber mag Caspar Brötzmann nicht, obwohl der mit seinem Vater, dem brachialen Gewaltbläser Peter Brötzmann, den nicht wenige für den zur Zeit wichtigsten Saxophonisten halten, in der New Yorker Band Last Exit spielt, und er nach eigener Aussage doch schon gern mal an seiner Stelle spielen würde.)

Ein Reißen, als könnte man Berge zersägen. Diese Gitarre brodelt und blubbert wie der alte Tangerime-Dream-Sound Flugzeuglärm. Brötzmann ist der Pilot, hebt ab, und spielt, als würde er niemals zur Landung ansetzen. Immer fummelt er an seiner Gitarre, bearbeitet den Gitarrenhals mit beiden Händen, klopft, pumpt, dreht an den Saiten, wie Cecil Taylor in die Tasten langt. Musik, bevor sie einfriert, verschlissen wird und mißbraucht. Bevor sie sich flachlegt vor jedem für zehn Mark. Ein Gefühl der Macht, die alles einstürzen läßt, was einem einfällt. Blues als Aggregatzustand. Wie Blixa Bargeld schon immer ein Blues -Musiker war, wenn er zwischen den Griffen nach Tönen suchte.

Volker Lüke