ABB - oder wie funktioniert ein weltweit operierender Multi

Standort gegen Standort / Erpressen der Betriebsräte / „Wir bestimmen, wer Aufträge erhält“ / IG-Metall-Forderung: „Heimatschutz“  ■  Aus Mannheim Felix Kurz

Angeblich sind sich beide Seiten einig. Nur der Kaufpreis ist noch umstritten. Die italienische Pesenti-Gruppe fordere für ihre Franco-Tosi-Gruppe 400 Milliarden Lire (circa 540 Millionen DM), heißt es, während der multinationale Interessent, Asea Brown Boveri (ABB) angeblich 250 Milliarden Lire (rund 340 Millionen DM) biete.

Solche Meldungen finden sich im Zusammenhang mit dem neuen schwedisch-schweizerischen Konzernriesen ABB fast täglich unter den Wirtschaftsnachrichten. Die italienische Franco -Tosi-Gruppe ist übrigens auf dem Gebiet der Elektromechanik tätig. Zwischen ABB und den Italienern besteht seit dem letzten Oktober bereits ein Kooperationsabkommen. Jetzt will ABB den Konkurrenten einkaufen, so wie Asea jüngst BBC Baden (Schweiz) erworben hat. Gegenüber der ABB-Hauszeitschrift nannte BBC-Verwaltungsrats-Vizepräsident Bernd H. Müller -Berghoff jüngst weitere Fischzüge. Gedacht sei etwa an ein verstärktes Engagement in anderen Branchen, zum Beispiel in den Bereichen Handel, Unternehmensberatung, Software oder Transportwesen.

Alle Zukäufe kann ABB cash bezahlen. Rund vier Milliarden Dollar hat der Multi flüssig und kauft und kauft. Mal ist es eine Turbinenfabrik in Polen, mal ein Zuliefer-Unternehmen in Portugal. Mit Zukäufen oder Lizenzvergaben rund um den Globus und je nach Bedarf ist ABB groß eingestiegen. Mit allem, was in irgendeiner Weise mit Energie zu tun hat, dealt der Konzern, von der Steckdose bis zum Atomkraftwerk wird verkauft, daß die Drähte glühen. Oberstes Gebot ist dabei die schnelle Mark. Kundenpflege und die Sicherung von Arbeitsplätzen interessiert in der ABB-Spitze niemanden. Selbst Westinghouse, ein großer US-Konzern, der in der gleichen Branche tätig ist, schloß vor kurzem einen Kooperationsvertrag mit dem neuen Riesen ABB ab.

Peter Touissant, der erste Bevollmächtigte der IG Metall in Mannheim, hat für diese Unternehmenspolitik den passenden Begriff parat. „Camping-Mentalität“ sei das, was ABB praktiziere. „Die packen ihren Caravan, nehmen alle Vorteile mit und den Müll lassen sie da.“ Asea profitiere vom vorgefundenen Qualifikations- und Kooperationspotential der Beschäftigten und beute die jeweilige Standort-Infrastruktur aus, „solange sie Erträge abwirft“. Dann ziehe ABB weiter.

Zu „Müll“ werden dann die Menschen, die an den verschiedenen ABB-Standorten leben. Doch das sei offenbar die aggressive Unternehmensphilosophie von ABB, meint Peter Touissant. „Die sehen bei ABB gar nicht, daß da Menschen vorher alles gerichtet haben, das Wasser, den Strom, usw.“

Peter Touissant weiß, wovon er redet. Mannheim ist immer noch BBC-Standort. Doch wie lange noch, fragt man sich im Liverpool von Baden-Württemberg, wo die Arbeitslosigkeit weit über acht Prozent liegt. Selten war der IG-Metaller so erbost, selten war er aber auch so hilflos. Die „Plünderung der deutschen Standorte“ durch ABB hat auch die momentanen Grenzen der Gewerkschaften und der Betriebsräte aufgezeigt. Denn nichts ist sicher vor der Verwertungsgier des Giganten.

Dieter Münch ist Betriebsratsvorsitzender von BBC Mannheim. Seit Asea „die BBC gekauft hat“, gilt für Dieter Münch die 70-Stunden-Woche. Eine Krisensitzung jagt die andere. „Wir fühlen uns erpreßt“, ist die kurze und fast resignierende Erfahrung, die der Betriebsrat seit der Übernahme von BBC durch die schwedische Asea gemacht hat, auch wenn es anfangs anders aussah. Mit zehn Arbeitsniederlegungen reagierte die BBC-Belegschaft, als sie erfuhr, daß in der Bundesrepublik mindestens zehn Prozent (3.600) der Arbeitsplätze bei BBC in der BRD gekappt werden sollten. Zehn Verhandlungsrunden zwischen Unternehmensleitung, Politikern, dem Betriebsrat und der Gewerkschaft folgten. Doch das scheinbare Hoch zwischendurch - die Konzernleitung hatte als Reaktion auf die Streiks mitgeteilt, daß zumindest 1988 und 1989 niemand entlassen werde - entpuppte sich für die Arbeitnehmervertreter als Flop.

„Es sieht schlimer aus, als wir gedacht haben“, sagt Peter Touissant heute. „Wenn Ihr nicht mitmacht, dann lassen wir Euch ganz fallen“, schildert Dieter Münch die aktuelle ABB -Strategie. „Wir bestimmen schließlich, wohin welche Aufträge kommen“, habe man ihnen, den Belegschaftsvertretern, deutlich gemacht.

Genau diese Unternehmensstrategie ist auch verantwortlich für die aktuellen Zukäufe oder Lizenzvergaben. Denn nur sie ermöglichen das „Ausspielen eines Standortes gegen den den anderen“ (Peter Touissant). So haben sich mittlerweile verheerende Machtkämpfe zwischen den ABB-Standorten weltweit entwickelt. Preiskämpfe im Konzern sind an der Tagesordnung, und, was wesentlich schlimmer ist, ganze Regionen, die früher von BBC lebten, geraten durch die ABB-Politik plötzlich noch mehr in soziale Schräglagen. Seit dem Inkrafttreten der Fusion am 4.1.88 spricht die neue Unternehmensleitung von „Schlankerwerden“. „Nur wo etwas hinzukommen soll, wurde nie konkret gesagt“, moniert Dieter Münch. Zwar engagiert sich ABB beispielsweise in der Robotertechnik, rund 12.500 Einheiten verkauft der Konzern jährlich. Auf 25.000 will ABB das Geschäft mit der künstlichen Intelligenz ausbauen. Die dafür notwendigen Investitionen allerdings sind in Mannheim nicht vorgesehen, auch wenn Belegschaft und IG Metall dies als Ersatz für die beispielsweise im Kraftwerksbereich wegrationalisierten Arbeitsplätze fordern. Die Menschen bei BBC sind die „Fusionsverlierer“.

Beharrt ABB auf den Plänen der Strukturveränderung, dann „steht uns ein heißer Herbst bevor“ (Dieter Münch). Bis dato jedenfalls hat die Konzernspitze nichts Gegenteiliges signalisiert. Der gesamte BBC-Standort ist in seiner Existenz sogar gefährdet. Knapp 7.000 Mitarbeiter hat der Konzern noch in Mannheim. 1982 waren es noch 8.418 Belegschaftsmitglieder. Daß es auch ohne Massenentlassungen geht, exerziert ABB täglich vor. Udo Belz, der Vertrauensleuteobmann, berichtete der taz, daß jetzt schon 160 fertig ausgebildete Azubis nicht mehr übernommen werden.

Über 2,4 Milliarden, so errechnete die IG Metall, hat BBC im Laufe der Jahre aus dem Säckel des Bundesforschungsministerium gebaggert - Geld, das nun ohne Kontrolle international verbuttert würde. Gerade diese investierten öffentlichen Mittel müßten doch zur allgemeinen Forderung nach Standartsicherung in der Bundesrepublik führen, meint Peter Touissant. Für die Mannheimer IG Metall ist gegen die internationalen Multis „Heimatschutz“ angesagt.