Iran: Vertrau auf Gott und den Schwarzmarkt

Iraner mißtrauen den Friedensbekundungen Khomeinis / Organisierte Solidaritätsdemonstrationen und Parolen sollen Bevölkerung besänftigen / Medien versprechen „Endsieg des Islam“ über die ungläubige Welt / Schwarzmarkt hat Hochkonjunktur  ■  Aus Teheran Issam Maarouf

Fast genau ein Jahr nach der Verabschiedung der UNO -Resolution 598 durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat sich die Regierung der islamischen Republik Iran durchgerungen, den Frieden zu wahren und das Dokument anzunehmen. Was bedeuteten den Iranerinnen und den Iranern der zukünftige Frieden im Golf? Für die meisten unter ihnen ist es kein großer Unterschied, ob die Machthaber in Teheran in Kriegs- oder Friedenszeiten über sie regieren. Wichtig allein ist der Sturz des klerikalen Regimes. Die Macht der Mullahs erlaubte bisher keinerlei Einfluß auf das, was im Namen des mißbrauchten Islam gegen das Volk geplant und durchgesetzt wurde. „In Kriegszeiten herrschen Kriegsgesetze, ohne diese wird die Regierung an Macht verlieren“, meint achselzuckend ein Teheraner, doch viele können noch nicht an den geplanten Frieden glauben: „Und wenn ich Khomeini die Resolution persönlich unterschreiben sehen würde, ich könnte es nicht glauben. Seine Friedensbekundungen sind mir unheimlich“, erklärt mir eine Frau.

Das Mißtrauen ist verständlich, hat doch die Regierung Khomeinis zu oft bewiesen, daß sie sich nicht an internationale Gesetze und Vereinbarungen hält. Jeder Iraner erinnert sich an die offensichtliche Beteiligung des Regimes an der kürzlichen Entführung eines kuwaitischen Passagierflugzeugs oder an den Bruch von Waffenstillstandsvereinbarungen im Städtekrieg zwischen Iran und Irak. Doch diesmal scheint es Khomeini tatsächlich ernster zu meinen, als mancher seiner Ergebenen wahrhaben will. Der Befehlshaber der „Wächter der Revolution“ (Pasdaran), Razai, erwähnte z.B. während einer Fernsehansprache „offene Rechnungen, die der Irak noch bezahlen muß“. Prompt wurde er zum Imam zitiert und aufgefordert, niemals an der „aufrichtigen Friedensbereitschaft“ Khomeinis zu zweifeln, die keine Tricks dulde.

Doch jene 30 Prozent der Bevölkerung, die bisher das Regime tragen und zumeist aus den armen Schichten kommen, werden sich fragen, wofür ihr Einsatz, die immensen menschlichen und finanziellen Opfer des Krieges sinnvoll waren. „Gott hat uns gelehrt zu kämpfen, Gott hat uns gelehrt zu siegen, Gott lehrt uns auch zu verlieren“, so und ähnlich lauten die neuen Parolen, die beim Freitagsgebet einstudiert werden und das Volk über Radio und Fernsehen berieseln. Die Mullahs sind sich der Zweifel an ihrer gottgleichen Regierung durchaus bewußt: Unter Führung des Ayatollah Ali Montazeri, dem designierten Nachfolger Khomeinis, werden im ganzen Land Solidaritätsdemonstrationen mit der Regierung organisiert. Doch es gelingt kaum, die nervöse Stimmung unter der Bevölkerung mit solchen Aufrufen zu besänftigen und, wie die Regierenden es gerne möchten, „in diesen schwierigen Zeiten keine Fragen zu stellen, sondern vertrauensvoll auf eine Erklärung der Regierung“ zu warten.

Wie soll man auch auf Frieden hoffen können, wenn die Regierung gleichzeitig mit der Annahme der Waffenstillstandsresolution alle propagandistischen Hebel in Bewegung setzt, um die letzten Reserven des Volkes für den Krieg zu mobilisieren. Die Medien verbreiten mit ungebrochenem Elan Kriegsparolen und versprechen „dem iranischen Volk mit seinen Löwenkämpfern“ schon bald „den Endsieg, den Sieg des Islam über die ungläubige Welt“! Neue, im Land selbst hergestellte Waffen, sollen die Iraner angesichts eines vordringenden Kriegsgegners in Sicherheit lullen. Beamte werden zur Teilnahme eines Kurses über Verhalten und Hilfsmaßnahmen bei Giftgasangriffen verpflichtet. Männliche Jugendliche über zwölf Jahre dürfen nicht mehr ausreisen - bisher konnten noch 14jährige das Land verlassen.

Der Parlamentspräsident Rafsanjani sprach beim Freitagsgebet von einem „langwierigen und schwierigen Prozeß“, der dem Land bevorstehe, und daß es jetzt um den persönlichen Einsatz jedes Einzelnen gehen würde. Auch die Privatautos der privilegierten Bevölkerung in den Städten werden jetzt für den Einsatz in der Armee eingezogen. „Die haben was vor, und das Volk interessiert sie dabei nicht. Vielleicht werden wir bald um unser Brot kämpfen müssen“, befürchtet eine Iranerin. Die Inflation hat eine Höhe erreicht, die die Versorgung vor allem der ärmeren Bevölkerungsteile für einen längeren Zeitraum gefährdet. Viele beginnen, sich von ihrem Besitz zu trennen. Die Frauen verkaufen ihren Goldschmuck, der in den Juwelierläden nach dem Tageskurs des Goldwertes gehandelt wird. Andere kaufen auf dem Schwarzmarkt stabile Währungen ein. Deutsche Mark, Dollar und englisches Pfund haben Hochkonjunktur. Vor den Banken stehen in Scharen Geldhändler, die in Plastiktüten jede nur mögliche Devise anbieten. Sie brauchen sich vor keiner Kontrolle zu fürchten, denn der Schwarzmarkt ist im Iran nicht schwarz, sondern von den Behörden geduldet. Seit einiger Zeit sind bestimmte Lebensmittel nicht mehr erhältlich. Die Basaris halten die Ware zurück, um später an höheren Preisen Gewinne zu machen. Die Menschen sind mehr denn je auf Hamsterkäufe eingestellt. Ein Taxifahrer erzählt mir: „Im Radio haben sie schon vier Mal dieselbe Geschichte erzählt: Zu Zeiten Mohammeds litten 1.400 muslimische Soldaten in der Wüste an Hunger. In einem Zelt waren auf einem Tuch drei Datteln gelegen. Nacheinander begaben sich die hungrigen Soldaten in das Zelt, und ein jeder kam gesättigt wieder heraus. Zum Schluß blieben drei Datteln auf dem Tuch übrig! Natürlich überlegen die Leute, was das mit uns zu tun haben soll und befürchten Schlimmstes.“

Der einzige iranische Autoproduzent, PAYKAN, der die Einzelteile der Autos aus dem Ausland bezieht und im Land nur die Montage vornimmt, verlangt inzwischen unerschwingliche Preise für seine Produkte. Seit Jahren war die Einfuhr aus dem Ausland verboten. Jetzt gehen Gerüchte um, dieses Verbot solle wieder aufgehoben werden, doch das Außenministerium will dies nicht bestätigen. Ohnehin kann sich zu dieser Zeit kaum jemand ein Auto leisten. Doch der Mann auf der Straße begreift, wie geschickt die Regierung mit den Reaktionen des Volkes jongliert. „Das Chaos war von der Regierung organisiert, um das Ende des Krieges zu rechtfertigen.“