104 Mark Weltschmerz-Potpourri

■ Placido Domingo war Dienstag in Abendkleidung und zum Plastikbecher-Sekt in der Stadthalle zu bewundern, dazu ein Orchesterleiter, der ein Tonband dirigiert, und ein Haufen Spanienklischees

Teuer ist er den BremerInnen, der gut Placido Domingo. Stolze 104 Mark blätterten sie für die vorderen Plätze hin. Das Programmheftchen kostete 10 Mark, von 20 Seiten sind sechs mit Reklame gefüllt, nur zwei enthalten echte Information. Auch sonst war alles nicht ganz echt: Das Orchester kam vom Tonband, trotzdem pinselte ein einsamer Dirigent unverdrossen seine Figuren in die Luft. Mag sein, daß das nötig war, um

die Chöre zusammenzuhalten. Ich glaube aber eher, das Männlein im Graben sollte den Schein für's Publikum bewahren. Das gab sich redlich Mühe, dem Ereignis etwas Glanz und Würde zu verleihen. In festlicher Abendgarderobe waren die meisten in den schäbigen Riesensaal der Stadthalle gekommen. In den Pausen schlürften sie ihren Sekt aus Plastikbechern oder pulten hilflos an der Verpackung einer

vertrackten Eistüte herum.

Für Freunde tenoralen Schmachtgesangs kann es nur zwei Heroen geben: Neben Placido besteht nur sein ewiger Konkurrent Luciano Pavarotti. Die Vorzüge des einen oder anderen geben Stoff für endlose Streitereien der Opernfans. In dem Gedümpel des Programmablaufs strahlte Placidos Stimme um so heller. Nach dem Potpourri-Prinzip waren aus diversen Zarzuelas die Highlights ausgewählt worden. Placido übernahm jeweils die Weltschmerzgesänge einsamer Herren fernab von Vaterland oder der Angebeteten. Auch den Duetten mit diversen Damen war der Ton tragischen Mißgelingens eigen. Viel Gelegenheit also, Stimme zu zeigen. Und wer befürchtet hatte, das Ganze sei nur arrangiert worden, um die blasser gewordene Stimme eines alternden Stars (Placido geht immerhin auf die 50 zu) nochmal auszuschlachten, wurde angenehm überrascht. Druckvoll und klar

kam die Höhe, mit jenem metallischen Glanz, der das Tenorpathos - für mich jedenfalls - unwiderstehlich macht. Mit einem schmerzerfüllten Schluchzer abreißende Spitzentöne boten reichlich Gelegenheit, sich wohlig in larmoyanten Gefühlen zu suhlen.

Trotzdem kann Domingo seine beste Seite in so einem Programm nicht zeigen. Als Schnulzensänger stellt ihn Pavarotti allemal in den Schatten, während Domingo eher als Darsteller von Personen und ihren dramatischen Konflikten überzeugen kann. Die Methode, aus verschiedenen Werken Hits herauszupräparieren, brachte nicht Vielfalt, sondern Monotonie auf die Bühne. Ohne die fortlaufende Handlung erstarrt das Pathos zur Pose, wird die Klage zur leeren Phrase.

Ich kann mir vorstellen, daß die Aufführung einer Zarzuela auf der Plaza Mayor in Madrid durchaus eine spannende Sache ist. Den Hauptteil der Stücke macht der gesprochene Text der Handlung

aus, unterbrochen wird das Ganze von gelegentlichen Musik -und Tanzeinlagen. Die operettenhafte Gattung ist allerdings nicht Ausdruck des Kampfes des spanischen Volkes und tiefverwurzelt im vielbeschworenen Nationalcharakter, wie zwei Ansager es dem Bremer Publikum zum Glück auf Spanisch weismachen wollten. Sie war eher Ausdruck des städtischen Bürgertums des 19. Jh. Die Musiksprache ist die der internationalen Amüsiermusik, angereichert mit gelegntlichen Folklorismen. Weil spanisches Kolorit im Ausland so erfolgreich war, übernahm auch die spanische Bourgeoisie Elemente, die ihr spanisch vorkamen.

Vollends fragwürdig allerdings der hier unternommene Wiederbelebungsversuch: Aus 17 Verschiedenen Werken (zwei Opern von Granados und de Falla wurden auch noch eingeschummelt) löste man die angeblichen Höhepunkte heraus und stellte sie zu einer revueartigen Nummernfolge zusammen.

Über das Ensemble „Antologia de la Zarzuela“ war ich entsetzt. Klägliche Stimmchen versuchten sich in Kunstgesang mit eierndem Vibarto und schiefer Intonation. Die Choreographie der Tänze war an Einfallslosigkeit nicht zu überbieten, auch ihre Darbietung beeindruckte nicht gerade durch Präzision. Die Kostüme, doch ja, pompös waren sie, aber der Ausstattungszauber erging sich in geschmacklosesten Spanienklischees. Verantwortlich für das Ganze zeichnete Jose Tamayo, der sich im Programmheft als der „wohl bedeutendste spanische Theatermann der Gegenwart“ feiern läßt. Wer's nötig hat...

Placido Domingo jedenfalls sollte es nicht nötig haben, mit dieser Show auf Tournee zu gehen.

Axel Weidenfeld