Grüne: elf zu acht für Asyl für Roma

■ Kreis-Mitgliederversammlung Bremerhaven stritt über Bleiberecht jugoslawischer Roma / Kreisvorstand für Abschreckungsmaßnahmen: Fertigessen statt Sozialhilfe / Mitgliederversammlung knapp dagegen / Keine Rüge für Vorstand

„Ich kann gar nicht soviel essen, wie ich kotzen möchte!“ Was am Dienstag abend der Zwischenruferin bei der Mitgliederversammlung der Bremerhavener Grünen den Magen umdrehte, waren die Argumente, mit denen eine Presseerklärung ihrer eigenen Partei verteidigt wurde. „Die Grünen sind der Auffassung, daß es sich bei der Volksgruppe der Roma aus dem südjugoslawischen Bitola nicht um politische Flüchtlinge handelt“, hieß es darin. Aus dieser „Auffassung“ folgerte die Erklärung: „Die Grünen teilen daher die Meinung des Magistrats, die Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt in taschengeldmäßige und sächliche Hilfe in Form von Gemeinschaftsverpflegung aufzusplitten; in der Überzeugung, daß diese Maßnahme allein die Familien größtenteils zur Rückkehr in ihre Heimat veranlassen und sich die Situation vor Ort entspannen wird“ (vgl. taz vom 1.8.).

„Wir können schließlich nicht alle Menschen aus allen Ländern, denen es schlechter geht als uns, hier aufnehmen“, verteidigte der Stadtverordnete Harry Bohnsack

die Erklärung und brachte sie erneut auf den Punkt: „Wir sind für uneingeschränktes Asylrecht, aber nicht für jeden“. Kreisvorstandssprecher Bernd Vogel ergänzte den Wunsch, daß die 600 südjugoslawischen Flüchtlinge Bremerhaven wieder verlassen: „Wir müssen auch Verantwortung tragen der deutschen Bevölkerung gegenüber.“ Schließlich ginge es bei der grünen Erklärung nicht um „allgemeine Ausländerpolitik“, sondern „nur um einen konkreten Fall“.

Zu Beginn der Versammlung von über 50 grünen Mitgliedern hatte der Sprecher des Landesvorstands, Dieter Mützelburg, versucht, den Bremerhavener Kreisvorstand zur Parteiraison zu bringen: „Es ist ziemlich ungewöhnlich, daß Vorstände von Kreisverbänden vom Tisch wischen, was der Landesverband als Wahlprogramm beschlossen hat.“ Schließlich hätten die Grünen noch im vergangenen September eine „Freie Flüchtlingsstadt“ gefordert und gegen jede Einschränkung der Sozialhilfe -Zahlungen protestiert. „Wir schreiben keinem Bürger vor,

was er mit seinem Geld machen soll“, wandte sich Vorstandssprecher Mützelburg gegen den Vorwurf Harry Bohnsacks, die Roma würden „mit dem Bargeld andere Dinge kaufen, aber nicht dafür sorgen, daß ihre Kinder die Verpflegung bekommen, die sie brauchen.“

Voller Empörung hatte schon zu Beginn der Mitgliederversammlung das Ex-Vorstandsmitglied Ingo Matthias sein grünes Mitgliedskärtchen zurückgegeben: „Man führe unökologisches und ekliges Plastikessen ein, streiche die Sozialhilfe, die Grü

nen unterstützen das Ganze und schon ist Bremerhaven ein lästiges Problem los: Die Roma packen ihre Koffer.“

„Es gibt offensichtlich eine Fremdenangst in unseren Köpfen, die wir als Grüne aber auf keinen Fall unterstützen dürfen“, versuchte sich der Bremerhavener Bürgerschaftabgeordnete Manfred Schramm an einer Vermittlung. Seine allgemeine Erklärung, in der der „Zugang von Asylbewerbern ... eher als Bereicherung und als Chance zur Entwicklung einer multikulturellen Gesellschaft“ bezeichnet wird,

fand schließlich eine Mehrheit von 14 zu vier Stimmen. Mit elf gegen acht Stimmen fiel dagegen die Abstimmung über den einzigen konkreten Satz knapp aus. Darin wendet sich die Mitgliederversammlung gegen die Position des Kreisvorstandes, die Maßnahmen des Bremerhavener Magistrats zur Abschreckung unerwünschter Flüchtlinge zu begrüßen.

Der Antrag des grünen Stadtverordneten Horst Grützner, dem Kreisvorstand wegen seiner Roma-feindlichen Erklärung eine Rüge auszusprechen, wurde je

doch mit elf zu drei Stimmen abgelehnt. Weitere personelle Konsequenzen der Affäre wurden nicht mehr beraten. Der Versammlungsleiter wollte den Tagesordnungspunkt lieber nicht behandeln: „Ich schlage vor, die Schlammschlacht unter den Tisch fallen zu lassen.“

Unterdessen haben bereits 125 der ca. 600 Roma das ungastliche Bremerhaven wieder verlassen. Sie zogen ihre Asylanträge zurück und erhielten dafür vom Sozialamt eine Fahrkarte nach Jugoslawien.

Dirk Asendorpf