„Ausziehn, ausziehn“

■ Ein nackter Mann im Frauen-Käfig und der Wunsch nach „ordentlichen“ Verhältnissen

Freitag nacht im „Big Apple“, das sich eigentlich in nichts von den Discotheken westdeutscher Provinzmetropolen unterscheidet..., wäre da nicht der Käfig. Vor etwas längerer Zeit hingen darin noch zwei Schaufensterpuppen an einem Galgen, ein großes Schild um den Hals mit der Aufschrift: „Ich habe kein Condom benutzt“.

Mittlerweile läßt man jedoch jedes Wochenende „echte Puppen“ darin tanzen. Auch an diesem Freitag räkeln sich wieder einige im Badedress gekleidete Mädchen an den Gittern entlang und ziehen gekonnt die Augen der Männer auf sich. Auch ich bleibe nicht ganz unberührt, zugleich regt sich mein schlechtes Gewissen - Frauen in einem Käfig, den prüfenden Blicken der Männer ausgesetzt - was das wohl symbolisieren soll?

Diesen Freitag tanzt zu meiner Überraschung auch ein Mann aus dem Publikum, nur mit Sonnenbrille und einer Unterhose bekleidet, im Käfig.

Anfangs finden es noch viele Leute belustigend, daß sich auch mal ein Mann im Käfig zur Schau stellt, und von der Discothek dringt ein provozierendes „Ist der nicht süß, der Kleine?“ durchs Mikrophon, was mit allgemeinem Gelächter quittiert wird. Etwas später aber sehe ich den „Kleinen“ plötzlich ganz alleine weitertanzen und bemerke, daß er sich in seiner Exstase auch noch seiner Unterhose entledigt hat. Völlig nackt bewegt er sich noch zehn Minuten lang weiter zur Musik.

Um den Käfig bildet sich eine mehrere Meter breite Sicherheitszone. Man geht auf Distanz und wendet den Blick ab. Mit „dem da oben“ will man offensichtlich nichts mehr zu tun haben. Das weibliche Publikum schaut größtenteils etwas verlegen auf den Boden oder zur Seite, und ich frage mich, ob die Männer bei einem nackten Mädchen im Käfig wohl dasselbe tun würden.

Beim männlichen Publikum macht sich eine sichtbare Verachtung für den tanzenden Geschlechtsgenossen breit. Viele scheinen peinlich berührt oder gar in ihrer Ehre verletzt. Der Frauenkäfig, zur Unterhaltung der Männer gedacht, hat sich unerwartet zu einer Art Bumerang entwickelt, dem man(n) nun hilflos ausgeliefert ist. Selbst die Geschäftsleitung weiß keinen Weg, das „Ärgernis“ zu entfernen. Man(n) scheint bloßgestellt und der Lächerlichkeit preisgegeben, ein Opfer der eigenen Erfindung. Und so mancher wünscht sich wohl, daß wieder „ordentliche Verhältnisse“ einkehren und der Käfig seinem eigentlichen Zweck, nämlich der Zurschaustellung weiblicher Reize, zugeführt wird. Glücklicherweise naht die Rettung, denn eine „Dancing Queen„-Wahl beginnt.

Sämtliche Kandidatinnen müssen nacheinander tanzen. Herren, die sich eben noch über den Auftritt des nackten Geschlechtsgenossen empörten, kommentieren nun das weibliche Geschlecht. Bevorzugte Opfer sind ausländische Mädchen. Eine Thailänderin muß Anzüglichkeiten ertragen. Dann brüllt jemand: „Wo ist die Blonde, ich will die Blonde!“ Die „Blonde“ hat die Startnummer 5 und kommt aus Polen. Sie hat es schon deshalb schwerer, weil sie nicht so sexy und aufreizend angezogen ist wie die meisten Konkurrentinnen, die sich für den Abend vorbereitet haben und viel Haut zeigen. Die Polin trägt eine Jeansjacke, Jeanshose und ein einfaches T-Shirt.

Als sie die Bühne betritt, ruft der Schreihals: „Noch ist Polen nicht verloren“, was allgemeines Gelächter bewirkt. Es folgen weitere Sticheleien aus dem Publikum. Sie muß das Spiel mitmachen, obwohl sie sichtlich keine Lust mehr hat und schlicht überfordert ist. Die Tränen stehen ihr schon fast im Gesicht, doch die Meute kennt keine Gnade: „Ausziehn, ausziehn“, wird nun schon lautstark gefordert.

„Das lassen wir besser bleiben“, meint daraufhin der Mann mit dem Mikrophon, „wir haben heute schon genügend nacktes Elend gesehen“, womit er auf den Nackttänzer von zuvor anspielt, aber zugleich die Kandidatin beleidigt. Dann holt er einen Dicken nach oben, der mit ihr „Can Can“ tanzen soll. Nach einigen Schritten flüchtet sie unter großem Gejohle von der Bühne - sie kann einfach nicht mehr.

Die Reaktion des Publikums widert mich an, aber an dem Gesichtsausdruck einiger Zuschauerinnen kann ich ablesen, daß auch sie das Spektakel nicht mehr witzig finden, und auch ein junger Mann wendet sich mit ernster Miene ab. Die Mehrzahl der „Freunde“, wie der Moderator sein Publikum zu nennen pflegt, hat jedoch sichtlich viel Spaß an der Sache.

Bernd Herrmann