Viele Wahrheiten und kaum überprüfbare Angaben

Im Hammadi-Prozeß stehen sich mittlerweile ein schlitzohriger Angeklagter, der es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, und ein sichtlich überforderter Jugendrichter gegenüber / Nur ein BKA-Beamter zeigt sich begeistert von der Person des Angeklagten und dessen Aussagefreudigkeit: „Ich muß ihn richtig loben“  ■  Aus Frankfurt Heide Platen

Vorsitzender Richter Heiner Mückenberger, der eigentlich Heinz-Werner heißt, ist nun einmal Jugendrichter. Das kann er auch im Verfahren gegen den heute möglicherweise 24jährigen Muhamad Ali Hammadi nicht verleugnen. Und wenn er für gewöhnlich so richtet, wie er dieses Verfahren führt, dann haben Jugendliche bei ihm nichts zu lachen. Warum Hammadi, als er 1983 und 1984 als Asylbewerber im Saarland lebte, nicht mit mehr Elan der gemeinnützigen Arbeit für zwei Mark pro Stunde nachgegangen sei? Das sei doch immer noch besser für einen jungen Mann, als „zu Hause rumzuhängen“. Er fragt dies Lydia M., die Mutter der Frau, mit der Hammadi ein Kind hat. Sie habe hier an ihm doch Mutterstelle vertreten, rede heute noch von ihm wie von ihrem eigenen Sohn. Warum sie ihm denn, wenn er Kopfschmerzen gehabt habe, nicht gesagt habe: „Wenn du ordentlich arbeitest, dann gehen die Kopfschmerzen schon weg!“ Die Frau reagiert irritiert. Mückenberger setzt nach: „Davon halten Sie wohl nichts?“ Muhamad Ali Hammadi hatte berichtet, er sei in Beirut bei einer Explosion am Kopf verwundet worden. Seither leide er ständig unter Kopfschmerzen. Die gemeinnützige Arbeit hatte er beim Gartenamt auf dem Friedhof antreten müssen. Er litt dabei besonders im Winter unter der ungewohnten Kälte und hätte gerne eine „richtige“ Arbeit als Fahrer oder Mechaniker angetreten.

Schlitzohriger Angeklagter

Heiner Mückenberger tut sich schwer, gegenüber dem wegen Flugzeugentführung, Mord und Sprengstoffdelikten angeklagten Libanesen die Contenance aufrecht zu erhalten, um die er sich die ersten Verhandlungstage durchaus bemühte. Über ihn ist die weite Welt mit der großen Politik hereingebrochen. Die Motivation, die Hammadi dazu getrieben hat, Sprengstoff in Weinflaschen in die Bundesrepublik zu transportieren, paßt nicht in seine Vorstellung von einem jugendlichen Straftäter. Von Krieg, vom Tod, von den Kämpfen im Nahen Osten, von israelischer Besatzungsmacht und dem Widerstand der Bevölkerung dagegen will er nichts hören. „Sie haben“, sagt er dem Angeklagten, „ja nun Sprengstoff in ein Land gebracht, das mit allen diesen Dingen nichts zu tun hat.“

Muhamad Ali Hammadi macht es dem sichtlich überforderten Gericht auch nicht leicht. Mal sagt er aus, mal nicht. Seine Motive dafür sind oft recht unerfindlich. Daß er sich hartnäckig weigert, zu sagen wo in Beirut sein Haus steht und wie viele Zimmer es hat, könnte das Gericht auch zu dem Schluß verleiten, diese sei zumindest auch zeitweilig Versteck für die beiden im Januar 1987 entführten deutschen Geiseln Cordes und Schmidt gewesen. Mückenberger ärgerlich: „Ich habe den Eindruck, Sie wollen Ihre Angaben der Überprüfung entziehen.“ Hammadi gibt sybillinisch nach: „Das Haus ist von mittlerer Größe.“ Dabei könnte Hammadi vor Gericht das Blaue vom Himmel herunterlügen. So recht überprüfen lassen sich seine Angaben für deutsche Gerichte schon deshalb nicht, weil die zuständigen Ämter, selbst wenn sie dorthin reisen könnten, kaum in der Lage sein würden, im zerstörten Beirut in einem Viertel Spuren zu sichern, das immer wieder zwischen die Fronten gerät und zerstört wird. An anderer Stelle tut er das möglicherweise auch, und das recht schlitzohrig. Daß er zu einer Jugendstrafe verurteilt wurde, weil er einer Marktfrau in Saarlouis die Geldkassette mit den Tageseinnahmen entriß, gibt er unumwunden zu. Er habe das, erklärt er dem staunenden Richter, aber nur getan, damit er seinen Rechtsanwalt bezahlen könne.

Viele Wahrheiten

Manchmal geht die Aussagefreudigkeit regelrecht mit ihm durch. So zum Beispiel, als er in fröhlicher Unbekümmertheit erklärt, er habe an jenem Tag mehr als die ihm zur Last gelegten vier Flaschen Flüssigsprengstoff in die Bundesrepublik geschmuggelt. Es war die zweite Tour dieser Art als er im Januar 1987 auf dem Rhein-Main-Flughafen festgenommen wurde. Sein Bruder Abbas, inzwischen wegen der Beteiligung an der Entführung der Deutschen Cordes und Schmidt zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt, war damals entkommen. Ob er da, fragt ihn der Richter, nicht etwas zu weit gehe und Schuld von seinem Bruder übernehmen wolle? Nein, meint Hammadi ganz entschieden, er wolle hier und jetzt endlich die reine Wahrheit sagen. Mückenberger empfiehlt dem Angeklagten eine Pause und ein Gespräch mit seiner Verteidigung. Danach erfahren alle, daß er jetzt nun aber wirklich die Wahrheit sagen wolle. Er habe eingesehen, daß er das müsse. Also: Er habe doch nur die vier Flaschen transportiert, die bei ihm gefunden wurden. Beide Aussagen trägt er gleich entschieden und energisch vor. Dem Richter Mückenberger sind solche Wahrheitswechsel offensichtlich ein Greuel.

Daß Hammadi ausgerechnet die Telefonnummern in seinem Notizbuch, die eine Verbindung zu Sprengstoffanschlägen in Frankreich herstellen, nicht selbst eingetragen hat, glaubt das Gericht auch nicht so recht. Hammadi erzählt, er habe das Buch einige Tage bei einem Bekannten liegen lassen. Danach hätten die Nummern drin gestanden. Ob das so üblich sei im Libanon? Mückenberger: „Wenn Sie es hier liegen lassen würden, wir würden uns wahrscheinlich nie eintragen.“

Lobeshymnen auf

den Angeklagten

Nur einer ist bisher rundheraus zufrieden mit dem Angeklagten Hammadi. Der Beamte des Landeskriminalamtes, B., ein älterer, etwas rundlicher Mann. Er vernahm Hammadi mehrere Monate lang und ist begeistert. So einen kooperativen Terroristen habe er noch nicht erlebt: „Ich muß ihn richtig loben.“ Der TE-Spezialist, den bundesdeutsche Verdächtige und politische Gefangene sicher nicht mit Zuwendung verwöhnt haben werden, ist immer wieder zu Lobtiraden bereit. Freundlich und entspannt sei die Atmosphäre bei den Vernehmungen gewesen. Hammadi habe zwar oft die Unwahrheit gesagt, das aber sei „sein gutes Recht“ gewesen. Die Tatsache, daß Hammadi versuchte, ihm einzureden, ein Name in Beirut neben einer Telefonnummer und dem Wort „Operation“, das sei ein Krankenpfleger, der seine Hand verarztet habe, quittiert er noch heute mit einem herzlichen Lachen. Der Dolmetscher habe dort angerufen und ein Büro der Amal an der Strippe gehabt. B. schilderte, es sei sein Eindruck gewesen, daß H. mit harten Vernehmungsmethoden gerechnet habe. Wenn er diese jetzt den Beamten vorwerfe, sei das falsch. Der Angeklagte habe sich damals im Gegenteil immer wieder gewundert, wie moderat er behandelt werde. Er habe den Dolmetscher mehrmals gefragt, wann er denn jetzt „endlich richtig verprügelt“ werde. Es sei für ihn wohl unvorstellbar gewesen, sich mit Vernehmungsbeamten „ganz gemütlich wie am Biertisch“ zu unterhalten.