Der Drehknopf

Leider findet man ihn heutzutage nur noch an antiquarischen und prähistorischen technischen Geräten: den legendären und einzigartigen Drehknopf. Dieser Nachfahre einer der größten Erfindungen, die je die Menschheit bewegten, ist kurz vor dem Aussterben. Und dieser Umstand ist mehr als ärgerlich.

Denn vom technischen Wahn be- und dem Zwang zur Neuerung aufgesessene Entwicklungsabteilungen internationaler Gerätehersteller denken sich bald täglich irgendeinen neuen Unfug aus, der den großartigen Drehknopf ersetzen soll. Und natürlich prompt hinter dessen praktischem Nutzen meilenweit zurückbleibt.

Ein typisches Beispiel ist der sogenannte „Sendersuchlauf“. Wir finden ihn an Fernsehern, Autoradios und anderen lebenswichtigen Gerätschaften. Und er kann einen zum Wahnsinn treiben. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie fahren zügig über die Landstraße. Da verschiebt sich geringfügig die Frequenz ihres Lieblingssenders. Früher hätte man in solchen Situationen kurz mal schnell mit rechts ein klein wenig nachgepegelt und hätte dazu nicht einmal den Blick vom Verkehrsgeschehen wenden müssen. Heute bleibt einem nichts anderes, als auf eine dieser blödsinnigen „Soft -Tasten“ - Ausgeburten wahnhaften Fortschrittsdenkens - zu tippen. Und anschließend nur noch Rauschen zu hören. Denn der Sendesuchlauf klappert erst einmal die gesamte Skala des Radios ab. Hält mal hier, mal dort, aber grundsätzlich nicht da, wo er soll. Weil vielleicht das Signal zu schwach ist oder aus anderen, durch rein intellektuelle Leistung nicht nachzuvollziehenden Gründen. Sollte aber unter Umständen mit viel Glück und nach langer Fummelei doch einmal der richtige Sender erreicht werden, heißt es schnell zugreifen. Und zwar mit einem Finger die Stationstaste und mit einem anderen die Senderfeststelltaste drücken, einen Moment festhalten, dann loslassen. Dann das ganze noch einmal machen, weil irgendwas ganz sicher nicht geklappt hat oder das Gerät einfach nicht verstehen wollte. Boshaft sind sie nämlich auch noch, diese kleinen Platinengehirne mit ihren Schaltkreisneurosen. Die geschilderte Aktion empfiehlt sich grundsätzlich nur für kilometerlang geradeaus führende Strecken. Denn schnell wird während einer solchen Auseinandersetzung mit der Tücke des technischen Objekts mal ein Hindernis übersehen. Noch besser ist natürlich, die Fahrt zu unterbrechen und die Angelegenheit gelassen und in Ruhe zu regeln.

Weniger gefährlich, aber noch weitaus nervtötender sind ähnliche Funktionstasten an modernen Fernsehgeräten. Aufgrund von Überreichweiten oder Witterungsschwankungen muß ja auch hier gelegentlich reguliert werden. Das allerdings sollte man nicht tun, wenn im nächsten Moment ein wichtiges Fußballspiel live übertragen wird - man würde es verpassen, denn Fernsehsendersuchlauftechniken sind noch störrischer, gnadenloser und um ein Vielfaches unerfindlicher als diejenigen der Autoradios. Lieber ein bißchen Schnee im Hai -Tech-Bild als über der unbeherrschbaren Elektronik zu verzagen. Oder ins Technikmuseum gehen, den alten Imperial von 1958 anstellen und in aller Ruhe die zweite Halbzeit zu Ende gucken.

Harald Keller