Diskretion Ehrensache

■ „Martha Jellneck“ von Kai Wessel mit Heidemarie Hatheyer

Schon staksen die Hyänen durchs Bild, steif-dümmliche auf jugendlich getrimmte Schauspielerinnen fassen hier ein geschnitztes Schränkchen ins gierige Auge und halten dort die Hand vorsorglich gleich auf die ganze Wohnung für den nicht allzu fernen Tag von Marthas Altersheimeinweisung. Umso süßer und netter ist der ewig grinsende Wehrdienstverweigerer und Mittagsessentransporteur. So geht es in Porträts einsamer alter Frauen wohl nun mal zu. Geschenkt.

Dafür wird der „besonders wertvolle“ Film „Martha Jellneck“ des Jungregisseurs Kai Wessel dann allenthalben „sensibel und still“ genannt werden wie die meisten anderen auch, in denen 70jährige Frauen auftreten, die natürlich ebenfalls sensibel und still sind hinter ihren Blümchentapetenzäunen, wo das Hündchen nach Herzenslust bellen und Oma rebellieren darf, ohne jemals die Contenance zu verlieren oder gar irgendjemanden draußen vor der Wohnungstür ernsthaft schaden zu wollen, genau wie unsere sympathische Oma Jellneck.

Die meuchelt zwar einen ehemaligen Kriegsverbrecher, was aber nicht weiter verwunderlich ist, weil sie im Lauf von 90 Minuten praktischerweise verrückt geworden ist und Erinnerung und Wirklichkeit längst durcheinander gebracht hat: So stirbt ein Nazi mehr, von dessen Taten niemals jemand erfahren wird, an einem Unfall, an der privaten Rache einer Sensibel-Senilen, die schließlich auch den schmierigen Zivildienstler mit ihrem gefallenen Bruder verwechselt. Weh getan hat Oma wieder einmal nur sich selbst, denn ab geht's jetzt ins Heim.

Und was diesen dünnen Film so schlimm macht, ist, daß wir natürlich Heidemarie Hatheyer lieben, genauso wie wir sie alle lieben, die alten Frauen, die zärtlich mit ihren Hündchen reden, großzügig zu Kindern sind und freundlich selbst noch zu Zimtzicken. Und so finden wir es auf einmal ganz prima, wie sie da arthrosehalber hinter ihrer Gardine hockt, niemanden mit ihren finsteren Plänen und ihren Innereien belästigt und ihr kleines ganz privates Vergangenheitsproblem so sauber und diskret beseitigt wie ihren altersschwachen Hund. Ein „filmisches Lehrstück“, erkennt die Filmbewertungsstelle. Wie wahr, denn Diskretion in Sachen Vergangenheit war schon immer Ehrensache.

Gabriele Riedle

„Martha Jellneck“ von Kai Wessel, mit Heidemarie Hatheyer, BRD 1988, 93 Min.