We Love You Tracy

■ „Hairspray“ von John Waters

Mit „Hairspray“ hat John Waters endlich einen Film gemacht, der so sauber ist wie der Regisseur aussieht.

Mancher hat sich schon gefragt, ob dieser elegante, freundliche Jungmann mit dem Bubi-Charme und dem Witz eines New Yorker Intellektuellen wirklich der Autor dieser gemeinen Filme wie „Female Trouble“, „Pink Flamingos“ oder „Desparate Living“ ist. Den offensichtlichen Widerspruch von Werk und Schöpfer erklärte er bisher mit dem Hinweis auf Hitchcock, der habe schließlich auch niemanden in der Dusche umgebracht. Was Divine am Schluß von „Pink Flamingos“ macht, John Waters tut so etwas nicht! Trotzdem, in seinem Buch „Shock Value“ erzählt er: „Nach dem Erfolg von Pink Flamingos fühlte ich mich wie ein Ratgeber in Sachen Hundescheiße. Wo ich auch hinkam, ich wurde immer mit unpassenden Huldigungen an die letzte Szene begrüßt. Zu einem Vortrag an einem College hießen mich Fans willkommen, indem sie mit Hundescheiße auf meine Hotelzimmertür schrieben ...“

So konnte das nicht weitergehen. „Ich werde mit Sicherheit keine Fortsetzung zu Pink Flamingos drehen, weil darin zum Schluß Divine scheißen und der Hund die Scheiße essen müßte.“

Waters hätte auch Politiker werden können, wie diese berechnet auch er sein Reden und Tun auf den Effekt hin, nur ist es bei ihm Showbusiness. Dieses Geschäft handhabt er gewitzt und nebenbei spottet er über die Mechanismen, die er hier bedient: „Wenn du ein aufstrebender Politiker bist, gib vor der Presse rassistische Kommentare ab. Durch diese Beleidigungen könntest du die erste Wahl verlieren, aber eine Menge Tinte wird für dich fließen, und dein Name wird in aller Munde sein. In naher Zukunft kannst du dann ein 'Come back‘ starten.“

Waters hat kaum ein Tabu ausgelassen, um seine Billigkomödien zu einem Ereignis zu machen und seinen Namen zu einem Synonym für die hohe Kunst des niedrigen Geschmacks. Eine Menge Tinte war ihm gewiß. ('Variety‘ zum Beispiel ehrte ihn mit der Überschrift: „Abschaum menschlicher Perversität zieht schräge Vögel an“.) Damit ist es nun vorbei!

John Waters hat der Welt einen neuen Film geschenkt und damit seinen Fans das Gefühl von Exklusivität genommen. „Hairspray“ wird den schockgewohnten Verehrern den letzten Schrecken einjagen: Dieses 'Come back‘ ist ein Film für die ganze Familie. Während die Kenner sich verärgert zurückziehen, um nach neuen Kulturobjekten zur Erfrischung ihrer delikaten Nerven zu suchen, freuen wir uns, daß wir endlich mal unsere Eltern mit ins Kino nehmen können. Vielleicht lassen sie sich ja sogar vom Rock'n Roll-Virus infizieren wie Mutter Divine.

Waters inszeniert einen sozialen Kampf in der Arena des Stils: vor laufenden Kameras, unter den neidischen Blicken des fernsehenden Rests der Jugend, twisten und sloppen die ausgewählten Teenager Baltimores, als gäbe es keinen schöneren Lebensinhalt. Einmal auf dem Tanzboden der Corny Collins Show angelangt, ist man schon fast ein Star. Nur die Besten werden zugelassen; selbst die besten Tänzer werden erst perfekt durch die richtige Frisur. Die Mädels tragen Bienenkörbe, die sie mit viel Haarspray in Form halten, bei den Jungs sieht das alles etwas fettiger aus.

Kennedy regiert Amerika, und wer auf dem Bildschirm erscheinen will, muß schlank, weiß und wohlerzogen sein, nach Geld sollte er wenigstens aussehen. Doch dann, im Barracuda-Schritt, erscheint Tracy Turnblad auf der Bildfläche. Die bringt dieses mittelschichtige Moderitual einer tanzenden Sauberkeitskultur aus dem Gleichgewicht. Tracy ist dick, vulgär und mag das Schwarze. Unversehens wird der Gesellschaftstanz zum Tanz um die Probleme der Gesellschaft.

Waters zeichnet mit den Buntstiften des Karikaturisten alles, was in den Kopf unter dem blondierten Bienenkorb nicht hinein will: Schwarze. Armut oder Eigensinn. Ob Lebensfreude oder Rassismus, er sieht es durch die grell bemalten Gläser des Popartisten, Schmetterlingsbrille, versteht sich. Nachdem sie durch viele komisch entlarvende Szenen des Kennedy-Kaleidoskops gerockt und eine Menge liberale Ideen verbreitet hat, feiert Tracy ihren großen Schlußtriumph mit einem neuen Tanz, dem Bug. Bug heißt Wanze, und man tanzt ihn, als sei man von Ungeziefer befallen. Schluß mit dem antiseptischen Stilgetue, das wahre Leben zieht nun in die Corny Collins Show ein. Fat is beautiful und Reinlichkeit Ausdruck sexueller Ängste!

Tracys Durchbruch ist der Beginn einer neuen Ära: Willkommen in den sechziger Jahren! Hier ist der Film zu Ende. Wie das weitergeht, ist ja bekannt: Hippies, lange Haare, Schlafsack...

„Hairspray“ zeigt Tracys Weg zum Fernsehen. Mit ihm wird Waters in die großen Kinos einziehen. Die rotzig unmögliche Göre beendet das Zeitalter des Plastik-Looks und der Regisseur damit die Phase seiner unmöglich rotzigen Filme. Und noch bevor man die Frage stellen kann, bekommt man die Antwort: „Es bleiben wenige Tabus übrig...“

Gunter Göckenjan

„Hairspray“ von John Waters mit Divine, Sonny Bono, Debbie Harry, Ricky Lake; USA 1988