Falsche Logik

Wer gegen Experimente am Embryo ist, muß nicht automatisch gegen Abtreibung sein  ■ K O M M E N T A R

Auf den ersten Blick entsteht der Eindruck, als wären sich die regierenden Moralisten in Bonn und Feministinnen in der Kritik der Gen- und Reprotechniken teilweise einig. Beide wollen keine Experimente am Embryo, beide sind dagegen, das Geschlecht des zukünftigen Kindes wählen zu können und wollen auf keinen Fall Leihmutterschaft. Aber der Schein trügt. Die Christ- und Freien Demokraten argumentieren mit dem „ungeborenen Leben“, sie konstruieren den Embryo als eigenständiges, von der Frau unabhängiges Rechtssubjekt. Dieses ist folglich mit einem eigenen Gesetz vor dem Zugriff der Ärzte und Forscher zu schützen.

Aber nicht nur vor diesen, sondern auch vor der Frau. Die Debatte der Konservativen um die Gen- und Reproduktionstechnologien wird mit den gleichen Argumenten geführt wie ihre Angriffe gegen die soziale Indikation im reformierten §218. In beiden Fällen wird ein Wille des Embryo zu „leben“ konstruiert - auch gegen den Willen und unabhängig von der Schwangeren. Dabei ist eine größere Abhängigkeit kaum vorstellbar: ohne die Frau ist der Embryo nicht lebensfähig, er ist ein Teil ihres Körpers. Genau darum geht es jedoch sowohl bei den Angriffen gegen Frauen, die abtreiben wollen, als auch bei der Entwicklung der Reproduktionstechniken: männliche „Experten“ wollen entscheiden, was leben soll und was nicht.

Die Konservativen fordern: Wer gegen Experimente am Embryo ist, muß auch gegen Abtreibung sein! Werden im kommenden Herbst das Beratungsgesetz und das Embryonenschutzgesetz etwa zeitgleich diskutiert, werden sich viele dieser „Logik“ nur schwer entziehen können. Aber da ist keine Logik. Nicht, wenn man den Standpunkt der Frau einnimmt. Denn es gibt ein individuelles, unabweisbares Interesse der Frau, über ihren Körper und die damit verbundene Leibesfrucht zu entscheiden. Dagegen gibt es kein unabweisbares Interesse der Forscher oder Ärzte am Zugriff auf Embryonen. Außerdem wird häufig „übersehen“, daß diese „ihren“ Forschungsgegenstand nur durch schwerwiegende und riskante Eingriffe in den Körper einer Frau gewinnen können. Auch deshalb sprechen sich Feministinnen und die Grünen prinzipiell gegen die in-vitro -Fertilisation aus. Ein Bündnis zwischen Moralisten und Feministinnen, das manche Linke so gerne an die Wand malen, ist nirgendwo in Sicht.

Gunhild Schöller