DOKUMENTATION
: Chronik eines vermeidbaren Todes

■ Protokoll einer Spätschicht in der Anästhesie-Intensiv-Station des St.-Jürgen-Krankenhauses

Schon am Vormittag meldet sich eine Kollegin krank, eine Extrawache wird organisiert, die sich aber auf der Station nicht auskennt. Schichtübergabe um 12.30 Uhr, folgende Patienten liegen auf den Zimmern:

Zimmer 24: Patient G., Schädel-Hirn-Verletzung. Er ist als Fahrradfahrer von einem PKW erfaßt worden und liegt im Koma, nun schon den zwölften Tag am Beatmungsgerät. Neben ihm die Patientin T., ein 16 Jahre altes Mädchen, die nach einem Autounfall mit schwersten Kopf-und Brustverletzungen auf unsere Station gekommen ist und in den ersten vier Tagen fast gestorben wäre. Nun hat sie sich stabilisiert, liegt aber immer noch am Beatmungsgerät, nicht ansprechbar.

Zimmer 25: Patient Z. ist ohne Helm Motorrad gefahren und gestürzt. Auf den Röntgenfotos sah sein Schädel wie ein aufgeklopftes Ei aus. Zudem hatte er eine Schock-Lunge bekommen und droht ständig, kreislaufmäßig zu versagen. Er wird mit einer computergesteuerten Maschine beatmet.

Zimmer 26: Patientin H. ist in einem Altenpflegeheim auf den Hinterkopf gestürzt und hatte eine Hirnblutung, die operativ versorgt worden ist. Seitdem liegt sie an der künstlichen Beatmung. Patient G. hat nach einem Autounfall vielerlei Verletzungen und eine Schädel-Hirn-Verletzung. Er hat eine Woche lang am Beatmungsgerät gelegen und kann nun endlich wieder ohne Schlauch atmen. Aber: Er ist in einem „Durchgangssyndrom“, das heißt, er wühlt furchtbar im Bett und bedarf eigentlich ständiger Aufsicht.

Zimmer 27: Patient H. ist nach einer Kiefernoperation zur Nachbeatmung gekommen. Sein Schädel ist nach der Operation sehr stark geschwollen, und seine Speichelfluß droht ihn ständig zu ersticken. So liegt dieser wache Patient am Beatmungsgerät und muß behutsam psychisch geführt werden. (...)

Also: Die Patienten wurden zum Schichtwechsel übergeben. Die Frühschicht ist auch nur zu viert gewesen, deswegen ist während der mittäglichen Überlappzeit jede Menge aufzuarbeiten. Erst gegen 15.00 Uhr kommt die Frühschicht weg. Kaum ist sie aus der Tür, Alarmmeldung: Eine Patientin kommt nach einem Kaiserschnitt auf die Station. Ihr Zustand: Beginnendes Lungen-und Nervenversagen nach EPH-Syndrom (Schwangerschaftsvergiftung). In aller Eile muß ein Patientenplatz vorbereitet werden: Überwachungsmonitor, Beatmungsgerät, Infusionen. Sie wird ins Zimmer 27 gelegt, neben den wachen Patienten H., der gerase die schwere Kiefernoperation hinter sich hat.

15.30 Uhr. Ein Katheter soll gelegt werden. Der Patientenmonitor ist kaputt! Die Technik wird angerufen. Nach einer halben Stunde war das Gerät endlich einsatzbereit.

16.00 Uhr. Der Zustand der Patientin verschlechtert sich akut. Kreislaufversagen droht. Ein neuer Patient wird gebracht: Unfallofper, Hirnblutung.

16.30 Uhr. Der Zustand der Patientin verschlechtert sich zusehens. An ihrem Bett arbeiten drei der fünf Spätdienst –Kollegen. Die Aushilfswache wird beauftragt, die vitalen Funktionen der anderen Patienten zu überwachen, da ja die zentrale Überwachungsanlage seit drei Jahren nicht funktioniert. Immer mehr Ärzte kommen ins Zimmer 27.

17.10 Uhr. Die Patientin hat einen Kreislaufzusammenbruch. Wiederbelebungsmaßnahmen laufen an. Herzdruckmassage wird begonnen. In irrer Hektik werden Medikamente aufgezogen, Blutbeutel, Frischplasma etc. fertiggemacht. Vier Schwestern und Pfleger und fünf Ärzte arbeiten am Bett der Frau. Ein Arzt meldet, daß das Kind außer Gefahr sei. Der Nachbarpatient H. muß mit starken Medikamenten beruhigt werden, weil er die Hektik in seinem Zimmer miterlebt.

18.43 Uhr. Die Patientin ist tot. Alle Maßnahmen blieben erfolglos. Da der Ehemann, der nicht informiert worden war, seine Frau noch sehen wollte, mußte die Tote für diesen Besuch vom Pflegepersonal präpariert werden: Waschen, Operationsspuren beseitigen, Schläuche entfernen.

19.15 Uhr. Der Ehemann bricht am Bett seiner toten Frau heulend zusammen. Er muß im Arztzimmer auf dem Bett des ärztlichen Bereichtschaftsdiensts versorgt werden. Während dieser ganzen Zeit werden die übrigen Patienten schlecht versorgt. Fazit: Eine Mindesbesetzung der Station mit mindestens fünf eingearbeiteten Kräften pro Schicht muß gewährleistet sein.

Ein Pfleger

Dieses – hier leicht gekürzte – Protokoll wurde im April auf einem internen Seminar der Landesarbeitsgemeinschaft Gesundheit der SPD vorgetragen.