Freispruch mangels Samenspur

■ Ein „ganz normaler“ Vergewaltigungsprozeß / Als Indizien zählen: Samenspuren, blaue Flecken, nicht aber psychische Folgen wie Ängste, Mißtrauen, Schlafstörungen

1. Rekonstruktionen

Außenwelt: Ein Sommerabend, Mitte August 1986. Ein Disco -Besuch. Etwas Alkohol. Es ist heiß. Ein Unteroffiziersschüler, eine Sparkassenangestellte. Er fragt sie, ob sie mit nach draußen komme. Ein Park.

Innenwelt: Und dann rannten wir Hand in Hand den Hügel hinauf. Oben ließ ich mich ins Gras fallen und zog sie nach unten. Wir küßten uns. Ich habe sie nicht ge

fragt, ob sie wolle. Das ergibt sich so. Man(n) merkt doch, wenn eine Frau will. Dann stand sie mit ihren zwei Schlüpfern in der Hand vor mir. Ich habe ein gesundes Verhältnis zu Frauen. Ich nehme keine Frau einfach so. Ich kenne mich sehr gut mit den Gefühlen der Frau aus. Das war ein ganz normales soziales Verhalten und ist oft so nach Discobesuchen. Es war ein völlig normaler Geschlechtsverkehr.

Außenwelt: An der Kleidung Susanne B.s, die aus zwei Schlüpfern, einem BH, einem Rock und einer Bluse bestand, sind keine Spermien gefunden worden. Am Rock fanden sich geringe, verwischte Erdspuren.

Es waren keine Spuren von Gewaltanwendung, blaue Flecken, Griffmale feststellbar. Die Patientin klagte über Schmerzen im Oberschenkel und im Unterleib, jedoch konnten Verletzungen nicht gefunden werden.

Innenwelt: Ich / nein, ich, ich hatte Angst / und daß er mir die Zunge / in den Mund steckte, ist doch keine / ich habe es nicht als Zärtlichkeit empfunden. Dann, ich weiß nicht mehr, ich / er hatte dann / plötzlich seine Hose offen / nein, ich habe den Reißverschluß nicht gehört / ich, ich kann mich nicht / so genau erinnern / ich hatte Angst, er würde mich umbringen / ich.

Susanne B. war im erneuten Nacherleben zu sehr erschüttert, um einfach, logisch distanziert und ohne Widersprüche berichten zu können. Wer sich der streng rationalen juristischen Sprache anpassen, Sachverhalte eindeutig (und einseitig), in simplen Ursache-Folge-Ketten darstellen kann, erscheint vor Gericht glaubwürdiger.

2. Definitionen

Eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung erst, wenn der Samenerguß erfolgte. Als juristische Beweismittel gelten Samenspuren, blaue Flecken, Griffmale. Psychische Auswirkungen, wie sie

Susanne B. schilderte - Ängste, Mißtrauen gegenüber allen Männern, nicht mehr einschlafen können, ohne das Licht brennen zu lassen -, Auswirkungen wie sie wissenschaftlich bisher nur bei Folteropfern untersucht worden sind, werden nicht berücksichtigt. So entstünden, wie Staatsanwalt Hoff ausführte, zwei Kategorien von Vergewaltigungsopfern. Eine Frau, die sich körperlich wehrt und Spuren eines Kampfes nachweisen kann, ist vor Gericht glaubwürdig. Wer jedoch psychologischem Druck unterliegt, sich - ganz nach den Empfehlungen der Polizei - nur verbal wehrt, um nicht eventuell ermordet zu werden, kann sich wie Susanne B. nicht auf juristische Urteilsraster berufen.

Verdrängte Susanne B. - wie der Verteidiger Frank G.s meinte - ihre aktive Rolle, um vor sich selbst, ihrem Freund und ihrer Mutter eine Entschuldigung zu haben? Oder war Frau bloßes Objekt? Ob Oralverkehr, ob man(n) die Hose anlasse und ob die Gefahr, im Park ertappt zu werden, als erregend empfunden wird, sei ja individuell verschieden: „Geschmackssache“ für den Verteidiger.

Der Strafantrag des Staatsanwaltes - ein Jahr und drei Monate Freiheitsentzug, ausgesetzt zu zwei Jahren Bewährung, und psychologische Beratungsgespräche - wurde abgewiesen. Das Bremer Amtsgericht sprach Frank G. frei, da es die willentliche Mitwirkung Susanne G.s für wahrscheinlich hielt. Ulrich Arnd