Der Streueffekt von Asbest

Die SchülerInnen der Kreuzberger Ossietzky-Schule werden ab Montag an fünf verschiedenenen Ausweichstandorten unterrichtet. Mindestens ein Jahr lang bleibt das Schulgebäude in der Blücherstraße geschlossen, um es vollständig vom Asbest zu befreien. Die asbesthaltigen Feuerschutz-Rolltore sind bereits draußen, im Herbst kommen auch die MOBAU-Trennwände dran.

Anfang Juni hatte der TÜV, wie berichtet, entdeckt, daß auch aus diesen Wänden zahllose Asbestfasern entweichen können, wenn die Wände entsprechend belastet werden. In elf Schulzentren wurden die gefährlichen Rolltore und Wände entdeckt. In zehn wurden deshalb in den Sommerferien die Fugen der Wände abgedichtet und die Rolltore luftdicht versiegelt. Nur in Kreuzberg werden die Wände jetzt herausgenommen.

„Im September gehen die Aufträge raus“, verspricht der Kreuzberger Baustadtrat Orlowsky. Während die Abdichtungsarbeiten in den anderen Schulen jeweils nur 700.000 Mark betrugen, veranschlagt Orlowsky die Kosten der Totalsanierung auf sieben Millionen. Er fordert deshalb Zuschüsse vom Finanzsenator Rexrodt. Der jedoch wartet noch auf eine Bewertung von Bausenator Wittwer, ob es nicht auch in Kreuzberg reiche, die Fugen der Wände abzudichten.

Dabei hatte Wittwers Staatssekretär von der Lancken bereits am 27.Juli auch dem Finanzsenator mitgeteilt, er befürworte die Totalsanierung der Ossietzky-Schule bereits „zum jetzigen Zeitpunkt“, falls der Schulbetrieb dennoch befriedigend zu organisieren sei. Der Asbest-Experte des Bausenators, Klaus Wende, verweist zur Begründung auf die Beschlüsse der zuständigen Kreuzberger Gremien, die eine sofortige Totalsanierung gefordert hatten. Außerdem will der Bausenator mittlerweile ohnehin in den nächsten fünf Jahren alle MOBAU-Wände aus den Schulen entfernen lassen.

Wende: „Irgendwann muß man jetzt damit anfangen.“ Das verrät einen erstaunlichen Sinneswandel der Baubehörde. Das Abgeordnetenhaus habe ja gefordert, die Berliner Schulen vollständig vom Asbest zu befreien, erinnert man sich dort heute. Im Juni dagegen schwebte der Senatsverwaltung als „endgültige Sanierung“ eine „Verkapselung“ der Wände vor. Vorerst sollte es reichen, die Fugen der Wände abzukleben.

Die Senats- und TÜV-Empfehlung, mit Klebeband abzudichten, geriet jedoch bereits vor den Ferien unter Beschuß. In Kreuzberg zeigte sich: die Bänder lösten sich leicht und ließen sich mühelos abkratzen. Fast alle betroffenen Bezirke verwendeten deshalb ein anderes Mittel. Sie dichteten die Fugen der Wände mit einem Plastik-Kitt aus Silikon-Kautschuk ab.

Bei Probemessungen in den zwei betroffenen Reinickendorfer Schulen lag die Asbest-Konzentration anschließend unter der Nachweisgrenze. Die Messungen wurden stets mit „aggressiven“ Belastungen der Wände begleitet. Genauso ging man jetzt in allen betroffenen Schulen bei den Nachmessungen vor.

Für die Steglitzer Bröndby-Schule gab es gestern bereits die Ergebnisse: Zweimal unter der Nachweisgrenze von 100 Fasern pro Kubikmeter Luft und einmal knapp drüber - vorher waren hier über 5.000 Fasern gemessen worden.

Wenn am Montag alle Ergebnisse vorliegen, wird sich zeigen, ob das Ergebnis auch in den zwei Schulen so günstig ist, die sich mit Klebeband begnügten. Zum einen handelt es sich dabei um die Wilmersdorfer Gesamtschule in der Emser Straße. CDU-Volksbildungsstadtrat Ulzen verweist darauf, daß die Schule ohnehin bald geschlossen wird, weil hier ab 1990 auch Spritzasbest beseitigt werden muß (siehe nebenstehender Artikel).

Lediglich geklebt wurde auch im Oberstufenzentrum (OSZ) Gesundheit in der Schwyzerstraße im Wedding. Der dortige Volksbildungsstadtrat Schimmler (SPD) verweist darauf, daß die BerufsschülerInnen des OSZ mindestens 17 Jahre alt seien. Daß sie häufiger gegen die Wände treten oder die Klebestreifen mutwillig abpolken, sei nicht zu erwarten.

hmt