Guatemalas scharf bewachte Demokratie

Mit ihrem „gescheiterten“ Putsch haben die Militärs die Zivilregierung in ihre Schranken verwiesen / TASS-Korrespondent aus dem Land gebracht, ein kubanischer Journalist sucht das Weite und eine linke Zeitschrift muß schließen / Von einem Dialog mit der Guerilla ist keine Rede mehr  ■  Aus Guatemala Ralf Leonhard

15.000 Soldaten marschierten durch Guatemalas Innenstadt, forschen Schritts und finsteren Blicks. Man feierte den 30.Juni, den Tag der Armee. Vor dem Balkon des Staatschefs defilierten die Ehrengarde des Präsidenten, die schnittigen Kadetten der Militärakademie, die arroganten Fallschirmjäger, die stahlharten „Kaibiles“ mit ihren rußgeschwärzten Gesichtern, Spezialisten in Guerillabekämpfung im Hochland. Zum Aufputsch die Frauenkompanie und schließlich Einheiten aus allen Brigaden des Landes, darunter auch die von Retalhueleu. Dasselbe Bataillon, das erst 50 Tage vorher auf dem Weg zur Hauptstadt von loyalen Truppen gestoppt worden war. Der Putschversuch vom 11.Mai ist nicht gescheitert: die Armee ist Garant des Demokratieexperiments - aber zu ihren Bedingungen.

Die Regierung schafft

sich ihre Feinde

„Guatemala ist keine parlamentarische Demokratie, wo der Kongreß mit einem Mißtrauensvotum einen unfähigen Präsidenten absetzen kann“, erläutert Oberst a.D. Fernando Gordillo. Er habe zwar nichts mit der Erhebung zu tun, könne aber die Motive der Putschisten verstehen. Gordillo weiß, wobon er spricht, er war Mitverschwörer des Staatsstreichs vom 23.März 1982 und anschließend dreieinhalb Monate Mitglied der Militärjunta. Wenn das Volk unzufrieden sei, dann müsse die Armee dem Willen der Mehrheit Geltung verschaffen. Die mangelnde Reaktion der Bevölkerung scheint dem alten Haudegen recht zu geben. Während die ersten Nachrichten von einer Militärerhebung eine Flut von Telegrammen und besorgten Anrufen aus dem Ausland auslösten, in denen Staatschefs und Parteifreunde die Regierung ihrer moralischen Unterstützung versicherten, blieb die Resonanz im Inland aus. Wer erwartet hatte, daß sich empörte Bürger vor dem Nationalpalast versammeln würden, um für Demokratie und gegen Gewaltherrschaft zu demonstrieren, wurde enttäuscht. Nicht einmal das Parlament, wo die Christdemokraten die Mehrheit halten, brachte eine Resolution zugunsten des jungen konstitutionellen Prozesses zustande: zu viele Abgeordnete der Regierungspartei hielten sich vorsichtshalber in einer Botschaft verborgen.

Allgemein wird das zivile Staatswesen mit der christdemokratischen Regierung gleichgesetzt. Und die hat sich in kaum zweieinhalb Jahren mehr Feinde als Freunde geschaffen. „Ohne Programm im Interesse des Volkes von Guatemala konnte die Regierung nicht die Unterstützung der Volksorganisationen gewinnen, sondern sie hat im Gegenteil Mißtrauen und Abscheu geerntet“, heißt es in einer jüngst veröffentlichten Analyse der vereinigten Guerillafront URNG. Sowohl Privatwirtscahft als auch die Gewerkschaften klagen nicht eingelöste Versprechungen ein, die politische Opposition wirft den Christdemokraten vor, sich über dezentrale Verwaltungsstrukturen in den Gemeinden ein Instrument zur Zementierung ihrer Macht schaffen zu wollen. Die Armee prangert die ausufernde Korruption an und ist besorgt über den Ausbau der Polizeikräfte in der Hauptstadt. Für die extreme Rechte ist Präsident Vinicio Cerezo sowieso ein Kommunist, weil er ein unverkrampftes Verhältnis zu Nicaragua unterhält und jüngst diplomatische Beziehungen mit Jugoslawien aufgenommen hat.

Schon seit Monaten wurde unter den Unternehmern gesammelt, und die potenteren Firmen ließen laut Verteidigungsminister Gramajo je 12.000 Dollar in die Putschkasse fließen. Besonders die Großgrundbesitzer vom Agrarproduzentenverband UNAGRO haben sich mit ihrer Spendierfreudigkeit hervorgetan. Insgesamt sollen zwischen einer Million und sechs Millionen Dollar zusammengekommen sein, um dem Demokratiespuk ein Ende zu bereiten. Für den Unternehmerverband CACIF hatten die politischen Freiräume für Linksbewegungen die Toleranzgrenze überschritten. Höhepunkt der Provokation für die Ultrarechte war ein Fußball-Ausscheidungsmatch zwischen Guatemala und Kuba, das Ende April in Havanna ausgetragen wurde. Das Schlachtenbummler-Pauschalangebot eines findigen Reiseunternehmers erwies sich als Hit, der die vorhandene Charterkapazität um ein Vielfaches überstieg. Denn das günstige Angebot, die revolutionäre Insel aus eigener Anschauung kennenzulernen, wurde von Hunderten wahrgenommen, die sich überhaupt nicht für Fußball interessierten. So mußte „Cubana de Aviacion“ an die 2.000 „Fans“ in einer Serie von Sonderflügen befördern. Gleichzeitig hieß die Bischofskonferenz in einem Hirtenbrief, der im Zusammenhang mit dem Agrarproblem die „sündhaften und überholten Sozialstrukturen unsers Landes“ beklagte, indirekt eine Serie von Landbesetzungen durch verarmte Campesinos gut.

Die linke Wochenzeitung 'Epoca‘ sprach in ihrer vorletzten Ausgabe von einem 25-Punkte-Katalog, der dem Präsidenten von den Militärs vorgelegt worden sei. Andere sprechen von insgesamt 15 Forderungen. Tatsache ist, daß kurz nach dem „gescheiterten“ Putsch all das, was die harte Linie innerhalb der Armee schon lange reklamiert hatte, in die Tat umgesetzt wurde: von einem Dialog mit der Guerilla ist keine Rede mehr; 30 Millionen Dollar für Sturmgewehre und Hubschrauber wurden plötzlich bewilligt, eine Reihe Offiziere befördert. Die Putschisten kommen automatisch in den Genuß einer politischen Amnestie, die die Regierung im Rahmen des zentralamerikanischen Friedensplans erlassen muß. Verteidigungsminister Gramajo, der als zu weich, regierungsnah und außerdem korrupt gilt, soll zum Jahresende ehrenhaft aus dem Amt scheiden.

Die vielleicht wichtigste Konsequenz aber ist die Abberufung von Innenminister Rodil Peralta. Er hatte begonnen, die Nationalpolizei mit Hilfe der Bundesrepublik, Spaniens, Frankreichs und Venezuelas aus- und aufzurüsten. Nach dem Vorbild Venezuelas versuchte er durch Stärkung der Polizei das Gewicht der Armee zu schmälern. In Guatemala -Stadt standen bereits 8.200 Polizisten nur 2.500 Soldaten gegenüber. „Wer die Hauptstadt kontrolliert, der kontrolliert auch das Land“, kommentiert ein Diplomat. Rodil und seinem Polizeichef Julio Caballeros war es auch trotz serienweisen Entlassungen nicht gelungen, das Image der Institution zu verbessern. In ihren flotten weißen Golfs und auf den schweren BMW-Maschinen verübten die Polizisten mehr Gewalttaten als vorher. In Quetzaltenango wurde der lokale Polizeikommandant mitsamt einer Patrouille des Mordes und der Folterung an zwei Agronomen überführt. Die Mannen Rodils müssen sich zu allem Überfluß professionelle Unfähigkeit vorwerfen lassen: In den letzten Tagen wurde in Guatemala -Stadt ein Ring von Kinderhändlern, die Neugeborene an kinderlose Ehepaare in den USA verschacherten, nicht von der Nationalpolizei, sondern von der Militärpolizei aufgedeckt.

Journalisten werden

ins Exil gebombt

Die von Christdemokaten zaghaft geöffneten Freiräume werden immer enger. Sogar ein Benefizkonzert des Moskauer Symphonieorchesters wurde vorsichtshalber abgeblasen. Das Problem des jüngst eingerichteten Büros der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS erledigte sich sozusagen von selbst, als das Lokal ausgebombt wurde. Der Hinweis war auch für den Korrespondenten der kubanischen Presseagentur „Prensa Latina“ deutlich genug: er zog es vor, den Laden dicht zu machen. Die Wochenzeitschrift 'La Epoca‘, geleitet von einem lange Zeit exilierten Journalisten, kam bis zur Nummer 16: Anfang Juni warf ein rechtsextremer Terrortrupp Bomben. Reporter werden Opfer mysteriöser Einbrüche, bei denen nichts gestohlen wird. Prominente Kritiker der Rechten finden sich auf den schwarzen Listen der Todesschwadrone, die den Zeitungen zugespielt werden. Die Verfolgten meinen bei den Aktionen deutlich die Handschrift des militärischen Geheimdienstes G-2 zu erkennen.

Für die Militärs war der gescheiterte Putsch ein voller Erfolg. Die Machtverhältnisse sind wieder klargestellt und die Grenzen der Demokratie deutlich abgesteckt. Enttäuscht sind nur ein paar Zivilisten, wie der Kinderarzt Mario Castejon, der als ehemaliger Mediziner der Contras Bekanntheit erlangt hat. Er hatte schon Wochen vor dem 11.Mai in einer Spezialstickerei eine Präsidentenschärpe für sich in Auftrag gegeben. Enttäuscht sind auch jene Unternehmer, die tief in die Brieftasche gegriffen hatten, um einen „kommunistischen Präsidenten loszuwerden. Die Armee hat durchblicken lassen, daß sie sich von der Oligarchie nicht mehr als Werkzeug mißbrauchen lassen wird. Die Fraktionskämpfe zwischen den radikalen „Bergoffizieren“ und den Befürwortern einer Demokratie an der Leine sind noch lange nicht ausgefochten. Ein Militärputsch zugunsten der Großgrundbesitzer und Industriellen steht aber vorerst nicht an. So wird befürchtet, daß diese Kreise, deren politische Vertreter immer mehr an Basis verlieren, sich zunehmend des Terros bedienen werden.