Ein Abgeordneter als Wahlbetrüger

Niedersächsischer Landtagsabgeordneter behält trotz Wahlfälschung sein Mandat / CDU/FDP-Regierung verliert ohne Vajens Stimme Mehrheit / Landtagspräsident: Wahlfälscher nicht gut für Ansehen des Landtags / Für Vajen hat Vorfall nichts mit „politischer Moral“ zu tun  ■  Von Holger Bruns-Kösters

Bremen (taz) - Der Landtagsabgeordnete der niedersächsischen CDU, Kurt Vajen, ist ein ungemein wichtiger Mann. Ohne den 52jährigen Landwirt aus Brockel im Landkreis Rothenburg würde die skandalgeschlagene Regierung in Hannover ihre Landtagsmehrheit verlieren: Denn die CDU/FDP-Koalition verfügt lediglich über eine Stimme mehr als SPD und Grüne. Kurt Vajen ist aber auch ein juristisch erheblich vorbelasteter Mann. Das Landgericht Verden hat den Mann vom platten Land in zweiter Instanz zu einer Geldstrafe von insgesamt 18.000 Mark verurteilt. Die fünfte Strafkammer hatte zwei Delikte zu bewerten, die bei einem Politiker nicht gerade alltäglich sind: Widerstand gegen die Staatsgewalt und Wahlfälschung. Zum ersten Vorwurf: Vor zwei Jahren war der Politiker nächtens einer Polizeistreife durch unorthoxe Fahrweise aufgefallen. Vajen hatte versucht, der Überprüfung zu entgehen und sich in einem Schuppen verkrochen. Als die Polizisten ihn dort fanden, wehrte er sich tätlich gegen eine Alkoholkontrolle und drohte den Beamten Konsequenzen an: Schließlich sei er ein einflußreicher Mann, der sich so etwas nicht bieten lassen müsse. Mußte er aber doch und wurde so zwei seiner Ämter als stellvertretender Landrat und Vorsitzender der CDU Kreistagsfraktion los. Bürgermeister der Gemeinden Bothel und Brockel aber blieb er.

Und als solcher zeigte er ungeheuren Einsatz für seine Wiederwahl, was ihm Punkt zwei der Anklage einbrachte: Vor den Kommunalwahlen im Oktober 1986 machte er sich mindestens zweimal auf illegitimen Stimmenfang. Der Parlamentarier überredete zwei Brockeler Bürger, Briefwahlunterlagen für abwesende Angehörige auszufüllen und animierte die Falschwähler auch noch, die Richtigkeit der Stimmabgabe mit gefälschter Unterschrift zu beurkunden. Eine freie Wählergemeinschaft bekam Wind von dem Schwindel und ließ ihn auffliegen. Diese unübliche Art, für die eigene Wiederwahl zu sorgen, wurde vom Landgericht als Urkunden- und Wahlfälschung sowie Veranlassung falscher eidesstattlicher Versicherungen gewertet. Das Gericht verurteilte Vajen zu einer Geldstrafe von 18.000 DM. Sowohl Vajen als auch die Staatsanwaltschaft haben dagegen Berufung eingelegt.

Es soll schon Politiker geben, bei denen allein eine Trunkenheitsfahrt zum Rücktritt führte. Bei Vajen ist dies nicht zu erwarten. Obwohl die CDU-Gemeinderatsfraktion ihn einstimmig aufforderte, sein Bürgermeisteramt zur Verfügung zu stellen, blieb Vajen standhaft bis zum Schluß. Erst ein Abwahlantrag, dem am Mittwoch abend neben SPD und Grünen auch Teile der eigenen Fraktion zustimmten, brachten den Bürgermeister der beiden Gemeinden zu Fall. Auch die CDU -Landtagsfraktion in Hannover scheint die Standhaftigkeit des Landwirtes zu fürchten. Die Vorwürfe, so sagt zwar deren Vorsitzender Josef Stock, setzen an der „Basis des demokratischen Mandats“ an, gleichwohl hat die Fraktion es bislang sorgfältig vermieden, Vajen zur Rückgabe seines Mandats aufzufordern oder ihn kurzerhand aus der Fraktion zu werfen. Denn Vajen kann als Druckmittel für den Erhalt seines Mandats immerhin den Erhalt der Regierungsmehrheit einsetzen. Und so will Fraktionsvorsitzender Stock erst einmal abwarten, bis das Urteil des Landgerichts rechtskräftig geworden ist. Der Koalitionspartner FDP hält sich derweil bedeckt und hat Fragen nach der politischen Moral zur inneren Angelegenheit der CDU erklärt. Immerhin äußerte sich Landtagspräsident Edzard Blanke gestern in Hannover zu dem Vorfall. Es sei sicher nicht gut für das Ansehen des niedersächsischen Landtags, sagte er, wenn dort ein wegen Wahlfälschung verurteilter Abgeordneter Mitglied sei. Er kündigte an, in nächster Zeit ein Gespräch mit Vajen führen zu wollen. Gleichzeitig betonte er aber, daß niemand einen Abgeordneten zum Rücktritt zwingen könne. Vajen selbst sieht keinerlei Zusammenhang zwischen dem „Vorfall“ und seinem Landtagsmandat. Und überhaupt die politische Moral: „Diejenigen, die jetzt am lautstärksten von politischer Moral reden“, sagte er gegenüber der taz, „verstoßen selbst mit Füßen gegen Werte und Normen unserer Gesellschaft.“ Vajen will Abgeordneter bleiben, denn Vajen ist ein wichtiger Mann.