Die demokratische Kunst geht um

■ Ein Kopiergerät in der Mitte, Fotokopien an den Wänden: Im Philine-Vogeler-Haus lädt Kopier-Art-Künstler Rainer Malich zu Kommunikationsspielen ein

Sollte der/die eine oder der/die andere demnächst befremdliche Dinge im Telefax finden, keine Angst, hier liegt kein Defekt vor, die „demokratische Kunst“ geht um. Hier ist „Spieltrieb“ gefragt. Wie schon bei Kefirkulturen oder Pilotspielen ist auch hier jeder aufgefordert, sein Kleines zum Großen dazu zutun. Bis zum 20. August bleiben Kommunikationsspiel-Unwillige jedoch noch von Telefaxanimierattaken dieser Art verschont, derzeit ist Rainer Malich, Kopierkünstler, noch mit Aktionswochenenden im Philine-Vogeler-Haus in Worpswede beschäftigt. Das letzte stand unter dem Motto: Was hat der Künstler sich dabei gedacht? Was will der Künstler uns damit sagen? Antworten auf diese recht naheliegenden Fragen zu erwarten, ist natürlich absolut abwegig, denn wie es sich für einen modernen Künstler gehört, stellen sich erneut Fragen über Fragen. Ob Workshop-Interessent oder informationshungriger Worpswede-Tourist, sie beide führt der Weg erst einmal durch sphärische Meditationsklänge in einen Raum, der wie ein Büro im Renovierungszustand anmutet. Ein Kopiergerät in der Mitte, an den Wänden Fotokopie an Fotokopie, gleich rechts die vom Workshop, an den verbleibenden Wänden die Werke Rainer Malichs. Viel von „Paula“ hat er da verarbeitet, (Paula Becker Modersohn, wir befinden uns in Worpswede). Als Kopiervorlage benutzte er die Postkarte „Alte Armenhäuslerin im Garten“ mehrfach vergrößert, farbverändert und schließlich mit großen Abständen wieder zusammengefügt. Rainer Malich erzählt gern von seiner Arbeit und ist bestimmt nicht wortkarg. „Ich beknie niemanden“, entwarnt er, wer die Schwellenangst überwunden hat, kann und darf sich kreativ frei am Kopierer ausleben, daher auch der Werkstattcharakter. Nicht einmal die handelsüblichen 12 Pfennig pro Kopie werden be

rechnet.

Rührende Geschichten weiß er zu berichten, wie beispielsweise die von den beiden Kindern, die endlich ihren „Freiraum“ am Kopierer entdeckt hatten, als ihre Eltern, die noch diverse Punkte auf ihrem Worpswede-Kunsttourismuspfad abzuhaken hatten, sie dem künstlerischen Medium entrissen. Einen Kloß im Hals habe er gehabt und sich an seine eigene Kindheit erinnert gefühlt, seine Eltern haben seine Arbeit bis heute nicht akzeptiert. Nur die Kopien mit allerlei Tascheninhalten und ein letztes Bild der Brille der herzlosen Mamma zeugen noch von ihrer Existenz. „Wer weiß, wo sie heute sind “, sagt er noch. Wo er heute ist, scheint er zu wissen, nirgendwo stecken geblieben nämlich, auch nicht bei der Pop Art, als deren Weiterführung er seine Kunst sieht.

Der 1944 im heutigen Polen geborene Malich studierte an der Kunstakademie Düsseldorf Bühnenbild, Bildhauerei und Malerei, und hat schon diverse Ausstellungen, Aktionen und Preise gehabt, bevor er zu dem sechsmonatigen Arbeitsstipendium in Worpswede gekommen ist. Auf die Arbeit mit der Fotokopie kam er 1975 durch Zufall, und seitdem zerschneidet, zerreißt, verwischt und übermalt er fotokopierte Vorlagen, besonders gern Verpak kungsmaterial. In erster Linie geht es ihm darum, den Kopierer als „demokratisches“ Kunstmedium zu vermitteln, wobei er den Begriff „Volkskunst“ vermeiden will, aber doch meint. Als allgegenwärtiges Gerät, das keine großen technischen Ansprüche an seinen Benutzer stellt, schreibt er dem Kopierer gar subversive Qualitäten und politische Brisanz zu. „Kopien sind kriminelle Bildfälschungen“, sagt er und „auch die Mönche, die die Bibel geschrieben haben, waren Kopisten“. Wenn seine Werke den gleichen Bekanntheitsgrad wie die Bibel erreichen sollen, steht

ihm noch ein weiter Weg bevor.

KeDe

Auch die nächsten beiden Wochenenden werden Aktionswochenenden sein: 13./14.8.: „Vorher - nachher“ und 20./21.8. „Kommunikationsspiele“. Im Philine-Vogeler-Haus, Worpswede.