PALAVER KADAVER

■ Vom Hängen und Längen in der Kunst, surrealistisch zu sein am Beispiel von Freyers jüngster Inszenierung

Oder warum die Illusion nicht mehr ernst gemeint sein kann. Beweis: Eine stolze Kette Schauspieler, Sprecher, Artisten, Tänzer, Kulissenträger, Bühnenkonstrukteure, Beleuchtungsmeister, HdK-studentische Hilfskräfte etc. nimmt mit von Glück erhitzten Mienen den frenetischen Schlußapplaus entgegen. Blumensträuße fliegen zwischen Bühne und Publikum hin und her. Noch auf dem Weg zur U-Bahn Hallesches Tor wedeln sich gebildetbürgerliche Ehepaare die festumkrallten Grünstengel vor die wechselseitigen Nasen, ohne zu bemerken, daß sie eine der in Berlin verbreitetsten Trümmerpflanzen, den gemeinen Goldgerberich, in den kulturfeuchten Händen halten. Daß die ungeheuer perfektionistisch um surrealistische Transmutationen bemühte Freyer-Inszenierung grade die Blumen für den Schlußapplaus verschlampt, ein Detail vergessen haben soll, erscheint aufs höchste unglaubwürdig. Surrealisten entgehen keine Details.

Was aber sagt uns dann dieser bewußte oder unbewußte Lapsus? Das rührige Bild des vom Kunstwollen übertölpelten Theatergängers scheint zu freundlich und banal, um als Botschaft des avantgardistischen Bühnenpathos zu genügen. Eine Aufwandsentschädigung, die bloß dem eingefleischten Freyer-Fanclub was gibt. Die Claqueure, längst auf Hospitantenbasis, sind eh zufrieden.

L'art pour l'art - doch sei's drum, wenn es unbeschwert wäre. Sitzen, Stehen, Bewegen. Drei Bilder a 20 Minuten zur sich dreimal wiederholenden Textfraktur nach Salvador Dali. Einsiedlerkrebs-kadaver, Hühnerkadaver, Seeigelkadaver, Heuschreckenkadaver. Pointiert artikulierte Phrasen, damit es überzeugend künstlich klingt. Schöne selbstreflexive Wortklöppelei. „Wenn man leere Leere ansieht.“ Allotropie des Alltags als Ornament (Allotropie: Eigenschaft eines Stoffes, in verschiedenen Formen auszukristallieren).

Die mit Lebensfreude begnadete Barbara Quandt kichert, findet ansonsten diesen Nihilismus ziemlich blöd. „Wir essen, trinken, vögeln, und das macht doch Spaß.“ Die meisten Zuschauer jedoch sind schwer beeindruckt, was sie offenbar am Lachen hindert. Selbst der skurrilste Arschmutant, dessen Haupt realistisch als ein Fieberthermometer wackelt, muß da ehrwürdige Metapher sein. Und die düstere Kleinfamilie der orgelpfeifenartigen Stöpselfiguren zwingt zum andächtigen Sinnieren über Tod, Raum und Zeit gar. Jaja, „Nichts ist kein Vergnügen“, weshalb die Erbschaft von Becketts grünschimmligen Auf-Godot -Warter der Langeweile auch keinen neuen Unterhaltungseffet hinzufügt. Tradition im bunten Bühnenfummel („new skin for an old ceremony“ Leonhard Cohen 1974) bleibt Tradition, selbst als Theater.

An ein Bewahren traditioneller Formen eines einstmals experimentellen Theaters erinnert deutlich Bild 3. Der Schlemmersche (und anderer 20er-Jahre-Avantgardisten) Stäbetanz hat Konjunktur. Der naiv-futuristischen Synthese „Mensch+Mechanik“ wird mit den gleichen mittelalterlichen Beleuchtungstricks (schwarze Trikots für die Kulissenschieber) gehuldigt, als hätte es keinen Film, kein 3D, keine Holographie, keine Computeranimation etc. seitdem gegeben. Man stelle sich die Illusionsutopisten des Beginns unserer Moderne mit den heutigen Technikequipments vor. Dali am Medienmixer, Kandinsky am Videogame, Skrijabin am Scratchen, Wagner beim Zapping. So aber bleibt es bei einem hochkunsthandwerklichen Elaborat, einem sophisticated gestylten Manierismus, der einem höchstens das Gefühl bestätigt, sich heute wieder sehr elitär gelangweilt zu haben.

Dabei hat man doch gar nichts gegen l'art pour l'art, wo sonst hätte das Spielerische einen Ort. Das Alberne, das Anarchische, das Sinnlose - vielleicht müßte man es unbeschwerter wahrhaben können, um die Irrwitzigkeit der Bühnenbilder als reines Vergnügen - als ästhetisches Phänomen statt als Menschweserei - zu genießen.

Vogel

„So wie eine Art Fisch, dessen Kopf herzzerreißend dem einer Heuschrecke gleicht“. Drei Einakter von Achim Freyer.

Bis zum 10.August täglich um 19.30 Uhr im Hebbeltheater