BEWEGENDE GEDULDSPROBEN

■ Brian Eno's Wald - Achim Freyer's Bäume sind aktuelle „Geschehnisräume“

Als am Freitag nachmittag um 17 Uhr im ersten Hof der Windscheidstraße 18 der Geschehnisraum von Brian Eno vorgestellt wurde, stöhnten die Mitarbeiter noch unter der Arbeit, die kurz zuvor erst beendet worden war, nach-dem der ursprünglich vorgesehene Raum am Anhalter Bahnhof durch Wetterunbilden für dieses Vorhaben ruiniert worden war.

Es war die typische Großstadthektik, die es mit sich brachte, daß die Plastikbecher noch nicht vorhanden waren, das Bier einer großen Berliner Brauerei noch angeschleppt werden mußte, während die Sonnenschirme eines Zigarettenfabrikanten längst den Stühlen mitsamt Tischen, auf denen Zigaretten und Streichhölzer derselben Firma deponiert waren, Schatten spendeten.

Man war inmitten der Großstadt in den Vorbereitungen zum Picknick im Wald. Späte Gäste kamen noch im Auto auf den sowieso überfüllten Hof gefahren, der sich prächtig zu ungewöhnlichen Übungen in Rangierkunst eignet.

Aus dem Gewusel mußte man sich schließlich in den eigentlichen Geschehnisraum begeben, in der Erwartung, den gleichen Massenauftrieb zu erleben, den die BerlinerInnen gerne am Grunewaldsee veranstalten.

Aus der Helligkeit des Berliner Sommers führt uns Brian Eno in die absolute Dunkelheit, in der sich zum eigenen Schutz die Arme sofort nach vorne strecken, um möglichst nirgendwo mit dem Kopf gegenzulaufen. Der Mensch ist ein allein gelassenes Tier, das nur noch instinktiv reagiert. Aber es sind ein paar sehr schwach leuchtende Lampen angebracht, und auch die reflektierenden Streifen an Ecken und Kanten helfen einem, den Weg zur Lichtung zu finden.

Ein schöner Platz, wenn man ihn gefunden hat, und nur ein paar Eingeweihte besitzen Kenntnis davon, die sich im Lauf der Zeit kennen, sich auch begrüßen und einen ansonsten in Ruhe lassen. Dann kann man sich darauf konzentrieren, was so kreucht und fleucht und summt und brummt, man schärft die Wahrnehmung und achtet auf die Veränderungen des Waldes. Wenn auch nur jahrelange Beobchtungen die Waldschäden erkennen lassen, denjenigen, die nur tageweise Zeit haben, die Bewegungen zu verfolgen, merken, daß Sonne, Wolken, Wind und Wetter eine Light-Show bieten, in der man Gott einen guten alten Mann sein lassen kann und zufrieden ist, wenn einem gebratene Tauben in den Mund fliegen, der Joint bereit liegt, ein guter Wein die trockene Kehle befeuchtet und sonst gar nichts.

Brian Eno nennt seinen Geschehnisraum „Relics, charms and living rooms from the recent past found hidden among strange trees (an enclosed landscape constructed with sounds, lights, objects and images)“ - Relikte, Reize und Wohnzimmer aus jüngster Zeit, gefunden verborgen zwischen merkwürdigen Bäumen (eine eingeschlossene Landschaft, konstruiert mit Geräuschen, Lichtern, Objekten und Bildern).

Die Augen haben sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt und man findet sich genauso gut zurecht wie bei Vollmond. Zu sehen gibt es vor allem leuchtende rechteckige Bilder, die manchmal zu Silhouetten beschnitten sind im Stile eines flackernden Feuers. Doch wie bei diesem Objekt kann man sich nicht sicher sein, ob der Eindruck den Tatsachen entspricht. Es nutzt auch nichts, wenn man sich ihm nähert. Allein die Zeit bringt es mit sich, daß eine Veränderung bemerkbar wird, und man mit Erstaunen wahrnimmt, daß das feuernde Rot verwandelt ist zum saftigen Grün einer Wiese. Andere Kästen beschäftigen die Augen mit der Farbenpracht des gesamten Regenbogens. Dort hinein können Köpfe gedeutelt werden, die durch den Wechsel der Farbigkeit erscheinen und wieder verschwinden. Mehrere Objekte zusammengenommen scheinen der Einbildung Stoff zu geben für Riesen, die überhaupt nicht bedrohlich wirken, weil wir sie ja auch in Ruhe lassen und nur akzeptieren können, daß sie in den Wäldern leben, ohne den meisten aufzufallen. Man sieht die Riesen vor lauter Bäumen nicht. Für Brian Eno braucht man genauso viel Zeit um zu verstehen, wie man am Kotti Geduld braucht, um sich zurechtzu finden.

Dieselbe Gelassenheit verlangen auch Achim Freyer's drei Einakter, denen er ein Zitat von S.Dali aus der zwanzigminütigen Textcollage zum Titel gegeben hat: „So wie eine Art Fisch, dessen Kopf herzzerreißend dem einer Heuschrecke gleicht“. Es sind drei Theaterbildentwürfe, die seiner Auffassung von Theater als Fläche in einem Guckkasten entsprechen.

Dazu hat er im ersten Akt einen perspektivischen Tisch gebaut, der vom Bühnenboden bis in den Himmel reicht, um den sich Damen und Herren wie Rattenbart, Rote Dame, Metaphysiker, Dirigent, Schwellkopf, Arschfigur und Würfelkopf gruppieren. Manchmal scheint es sogar, daß die Sprachfetzen diesen Figuren zugeordnet sind, die dort ihre Brocken auf den Tisch des Hauses werfen oder fallen lassen. Konzentriert man sich auf einen der Spieler, muß man es wie in Wirklichkeit hinnehmen, daß einem die „spontane“ Aktion eines anderen entgangen ist, wobei es beileibe nicht viel ist, was die einzelnen zu tun haben. Hier spielt einer mit Kugeln, dort einer mit Zahlen, jener schiebt einen Stab herum, einer zieht dem Arschgesicht das Thermometer heraus, um anschließend daran zu reiben bis die Höchstgrenze auf der Skala erreicht ist, während jenes Arschgesicht Rotwein in die Rosette gießt.

Achim Freyer hatte auf der Pressekonferenz nur angedeutet, unter welchen Oberbegriffen seine Inszenierung zu sehen ist. Der erste Akt „Sitzen“ verkörpere Diskussion, der zweite „Stehen“ Kosmik-Raum, der dritte „Gehen“ schließlich das Scheitern, wobei dieses nicht negativ gemeint sei. Das ist wirklich gut und schön, wenn im zweiten Akt die Menschen zur Spitze von Stalakmiten versteinert sind, die meist nur noch die Köpfe bewegen können und ansonsten die gleichen Worte zu sprechen scheinen wie im ersten Bild. Sicher, Achim Freyer's Theorie kommt nicht von ungefähr und er erklärt, daß es durchaus natürlich sei, wie sich ein Raum für einen Menschen nur allein dadurch verändert, daß man diesem sagt, nebenan liege eine Leiche, und er erreicht eine Geschwindigkeit, in der die zweiten zwanzig Minuten vergehen, aber man braucht schon viel Zeit, damit einem Langeweile kurzweilig wird.

Der dritte Akt ist denn auch eine Erlösung, bietet er doch verschärfte „Action“ in Zeitlupe, in denen sich wieder einmal bestätigt, daß getreu dem alten Satz, „Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb, sie konnten sich nicht finden, das Wasser war viel zu tief“ auch hier seine Entsprechung findet, weil „Punkt Punkt Komma Strich, fertig ist das Mondgesicht“ nur ein Kinderreim ist, während es noch nicht sicher ist, ob das wirklich die einzige Ordnung der drei geometrischen Elemente ist. Aber es ist eben leicht, zu sagen, das haben wir immer schon so gemacht, das ist so und nicht anders, und man spart sich eine Menge Aufregung, wenn man sich keine andere Möglichkeit der Zusammensetzung überlegen muß.

Qpferdach

Brian Eno in der Windscheidstr.18, 1. Hof, 1-12, täglich 12 -20 Uhr, bis zum 18.September