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Bremerhaven vertreibt Roma

In Bremerhaven werden 600 Flüchtlinge aus Jugoslawien mit Fertig-Essen abgeschreckt / Grüner Kreisvorstand sprach sich gegen Asylberechtigung der Roma aus / Boykott für Plastikessen  ■  Von Dirk Asendorpf

Bremerhaven (taz) - 600 Roma aus dem südjugoslawischen Bitola haben seit Anfang dieses Jahres in Bremerhaven einen Asylantrag gestellt (die taz berichtete). Vor zwei Wochen hat sich der Magistrat Abschreckungsmaßnahmen gegen die unerwünschten Flüchtlinge einfallen lassen - und findet damit inzwischen Unterstützung bis in den grünen Kreisvorstand hinein.

Statt einem um ca. zehn Prozent reduzierten Sozialhilfesatz erhalten die Flüchtlinge, die in insgesamt sechs „Sammellagern“ untergebracht sind, jetzt Großküchenessen und ein wöchentliches Taschengeld von 10 Mark pro Person.

Doch während in fünf Sammellagern die Flüchtlinge in den „sauren Apfel“ bissen, befanden 100 Roma, die in den Klassenzimmern der ehemaligen Stormschule untergebracht sind, das unter Plastikfolie eingeschweißte Essen als „zu wenig, ungesund und widerlich“ - und traten in den Streik. Seitdem werden zwar jeden Tag große Styroporkisten mit drei Plastikschälchen für Frühstück, Mittag-und Abendessen aus Bremen herangeschafft, gleichzeitig nimmt der Firmenwagen der Großküche jedoch das unangerührte Essen des Vortags wieder mit zurück. Spontane Unterstützung fand der Essens -Boykott für bare Sozialhilfe zunächst nicht nur bei einigen Grünen, sondern auch bei umliegenden Bäckereien, die Brot spendeten, beim Großmarkt, der Obst und Gemüse verschenkte und sogar bei „Eduscho“. Von einer Abmahnung ließen sich die drei Sozialarbeiter, die den Boykott tatkräftig unterstützten, nicht beeindrucken - schließlich sind sie sowieso nur befristet per Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beschäftigt.

Doch dann fand der Bremerhavener Magistrat mit seiner Abschreckungs-Politik unerwartete Unterstützung. Der Kreisvorstand der Grünen erklärte, „daß es sich bei der Volksgruppe der Roma aus dem südjugoslawischen Bitola nicht um politische Flüchtlinge handelt“. Aus dieser „Auffassung“, die „vor Ort“ gewonnen worden sei, wurde gefolgert: „Die Grünen teilen daher die Meinung des Magistrats, die Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt in taschengeldmäßige und sächliche Hilfe in Form von Gemeinschaftsverpflegung aufzusplitten; in der Überzeugung, daß diese Maßnahme allein die Familien größtenteils zur Rückkehr in ihre Heimat veranlassen und sich die Situation vor Ort entspannen wird.“

Gemeint war damit allerdings nicht die Situation in Bitola, wo die Roma in elenden Verhältnissen lebten. Vielmehr sollte Bremerhaven vor Flüchtlingen geschützt werden, die „hierher kommen, um abzustauben und nach kurzer Zeit wieder zurückgehen“, wie es der grüne Stadtverordnete Harry Bohnsack formulierte. Denn „die Unterstützung von politisch nicht Verfolgten führt dazu, daß der Sozialetat weiter ausblutet“ - ein Umstand, der letztlich zum Schaden aller „tatsächlich in Not geratenen Verfolgten“ sei.

Am vergangenen Dienstag befaßte sich die grüne Kreismitgliederversammlung mit dem Thema und beschloß nach über zweistündigem heftigen Streit, die Unterstützung der Abschreckungs-Maßnahmen des Magistrats wieder zurückzunehmen. Die Abstimmung war mit elf zu acht Stimmen knapp. Als Folge dieses Streites sind inzwischen drei der fünf Vorstandsmitglieder der Bremerhavener Grünen zurückgetreten.

Unterdessen hat über ein Viertel der insgesamt 600 Roma das ungastliche Bremerhaven, in dem die DVU im vergangenen Septetember ein Bürgerschaftsmandat erringen konnte, wieder verlassen. Sie zogen ihren Asylantrag zurück und erhielten dafür vom Sozialamt Fahrkarten nach Jugoslawien.

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