Hamburgs Atom-Ausstieg problemlos

Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung sieht weder Versorgungs- noch Kostenprobleme / Immense Überkapazitäten bemängelt / Erhöhung anderer Belastungen vertretbar  ■  Aus Hamburg Axel Kintzinger

Nach einem Gutachten des gewerkschaftsnahen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin könnte die von vier Atomkraftwerken umgebene Hansestadt Hamburg aus der umstrittenen Kernenergie aussteigen, ohne von einem Versorgungsengpaß oder immensen Kostenbelastungen bedroht zu werden.

Auch die Erhöhung anderer Umweltbelastungen wäre nach den Ergebnissen der Berliner Wissenschaftler vertretbar. Kein Ausstiegsgutachten ist in den vergangen Jahren bereits vor seiner offiziellen Veröffentlichung so kontrovers diskutiert worden wie die DIW-Studie.

Nachdem bereits vor drei Wochen das Springer-Blatt 'Welt‘, sich auf eben diese Untersuchung berufend, sowohl eine Öko als auch eine Kostenkatastrophe für den Fall eines Ausstiegs Hamburgs ankündigte, ging die Hamburger CDU in die energiepolitische Offensive und hielt der SPD vor, welche verheerenden Folgen deren Ausstiegspläne für die Hansestadt hätten. Die ebenfalls oppositionelle Grün-alternative Liste (GAL) warf indes dem DIW vor, „gravierende methodische Fehler“ begangen und „schlampig recherchiert“ zu haben. Der zuständige Umweltsenator Jörg Kuhbier (SPD) dementierte die angebliche Kernaussage des Gutachtens nur schwach und verwies auf deren offizielle Veröffentlichung Ende August.

Nun ist die etwa 1.000 Seiten dicke Untersuchung auch dem 'Spiegel‘ zugespielt worden. Dessen Interpretation des Gutachtens liest sich nun so: Der Ausstieg ist möglich und vertretbar.

Untermauert wird diese These vor allem mit der Überkapazität an Strom, die das städtische Versorgungsunternehmen HEW mit seinen Kraftwerken bereithält: So steht den 3.918 Megawatt, die die HEW als Kapazität bereithält, eine Tagesspitzenbelastung von lediglich 1912 Megawatt gegenüber. Obwohl die HEW den Strom zu 87 Prozent mit Atomenergie produzieren, könnten die vorhandenen Kohlekraftwerke des Unternehmens die entstehende Lücke locker auffüllen - und das bei einem als gering prognostizierten Anstieg des Schadstoff-Ausstoßes.

Auch der von der CDU attestierte „Treibhauseffekt“ nach einem Ausschalten der Reaktoren kann von der Studie nicht belegt werden. Im Gegenteil: Da AKWs wesentlich mehr Wärme an die Umwelt abgeben würden als andere Kraftwerke, könne nach einem Ausstieg von der Aufheizung der Atmosphäre keine Rede sein. Und die wirtschaftlichen Folgen? Laut 'Spiegel‘ haben die Berliner Forscher eine Summe von 300 Millionen Mark errechnet, die Hamburg jährlich für den Unterhalt von Ersatzkraftwerken ausgeben müßte. Umgerechnet auf die privaten Haushalte ergebe das einen monatlichen Zuschlag von 14 Mark.

Selbst juristische Tips kann sich der zaudernde Hamburger SPD/FDP-Senat bei der DIW holen: Die Stadt könnte, so gibt der 'Spiegel‘ das Ergebnis wieder, im Alleingang aussteigen und die Atomkraft-Beteiligungen verkaufen - Hamburg hält immerhin 73,6 Prozent der HEW-Stimmrechte.