Demonstratives Geblase vorm Nordseedeich

■ Bei Cuxhaven macht seit gestern der Wind ein bißchen Energie / Betreibergesellschaft spielt die Chancen für die Windkraft selbst herunter / Private Nutzung der Windkraft wird immer noch behindert

Ein himmlisches Kind bläst seit gestern Strom in das Energienetz der Überlandwerke Nord Hannover. Wo das Land am plattesten und die Deiche am höchsten sind, in Cappel -Neufeld, 15 Kilometer vor Cuxhaven, steigen mehrere hundert Luftballons in den Himmel. Die ÜNH-Farben Gelb und Blau und die angehängte Postkarte sollen die Botschaft weit hinaus ins Land tragen, wo die Menschen wohnen und der Strom verbraucht wird: In Cappel-Neufeld wird jetzt mit 25 Windenergieanlagen Elekrizität erzeugt.

Doch was ausreicht, Federleichtes in die Höhe zu tragen, bringt Windmaschienen noch lange nicht zum Rotieren. Dem Ruf, günstigster Standort zwischen Weser und Elbe für einen Windpark zu sein, macht das Nordseeörtchen an diesem Tag keine Ehre. Schlapp drehen sich die Antriebsblätter im Wind. Die Anzeige im Informationshäuschen gibt Auskunft: Momentane Stomerzeugung 0.

Trotzdem; der Stimmung im Festzelt tut die hochsommerliche Witterung keinen Abbruch. Etwa 150 geladene Herren in gedeckten

Anzügen sitzen, schwitzen und lauschen den Worten der Offiziellen, die das hohe Lied auf umweltfreundliche Alternativenergien singen. „Die ÜNH haben die Zeichen der Zeit erkannt“, lobt der Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Buhr die Aktiengesellschaft, die zu zwei Dritteln niedersächsichen Landkreisen und zu einem Drittel dem Atomstrommoloch PReAG gehört. Bislang war ÜNH ausschließlich Stromverteilungsunternehmen und bediente sich dabei des Atomstroms der PReAG.

Das wird sich auch nicht ändern, wenn der Wind vorm Deich tatsächlich so pustet, wie es Metereologen gemessen und vorausgesagt haben. ÜNH hat hochgerechnet, daß dann im Laufe eines Jahres 2 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugt werden; das entspricht dem Durchschnittsverbrauch von 450 Haushalten, oder auch dem was 16 Millionen Fernseher in einer Stunde aus dem Stromnetz ziehen.

Die 25 ÜNH-Rotoren sind auf einem Gelände aufgestellt, das der Größe von 16 Fußballfeldern entspricht; im Abstand von

150 Meter voneinander und in zwei Reihen. Im Vorderfeld brausen zehn Drei-Blatt-Rotoren der Firma Enercon aus Aurich, ein bereits erprobtes Modell, das auch im Windpark Westküste in Schleswig-Holstein läuft.

Weiter zurück surren 15 Exemplare des Monopterus, einer Neuentwicklung der Flugzeug-und Rüstungsbauer MBB, die im Vergleich mit den Enercon-Anlagen beinahe zierlich wirkt. Ein Rotor dreht sich 120 mal in der Sekunde, wenn denn der Wind mit drei bis vier Windstärken bläst. Vorteil der Neuentwicklung: Das Blatt dreht automatisch in die entsprechende Windrichtung und verstellt seine Neigung entsprechend der Windstärke, um möglichst optimal das Angebot der Natur in Strom unzusetzen.

Vor dem Schaltkasten eines Monopterus stehen zwei Windenergie-Ingenieure und fachsimpeln. Einer der beiden ist Ingenieur in einem Dreimann-Büro, das sich auf Entwicklung und Vertrieb von Windrädern spezialisert hat. Aerodyn, wie sich das Büro sinnfällig nennt, versucht die Lücke zu nutzen, die die großen Hersteller bislang klein halten wollen. Aerodyn läßt seine Entwicklungen auf einer Husumer Werft montierenund verkauft sie an Bauernhöfe oder Jugendherbergen, die sich vom Atomstrom unabhängig machen wollen. 75.000 Mark kostet so

eine Anlage und amortisiert hat sie sich nach vier bis sechs Jahren.

Doch der Absatzmarkt für die Alternativanlagen wird durch die Energiegesetzgebung stark eingeschränkt. Die gleichen Unternehmen, die bei Einweihungen eigener regenerativer Anlagen ihre innovative Kraft loben, behindern Selbstversorger massiv. So ist es Voraussetzung für private Nutzer, daß ihr Windrad in unmittelbarer Nähe des Hauses errichtet wird und daß der erzeugte Strom direkt abgenommen wird. Für die zuviel produzierte Energie zahlen die Energieunternehmen zudem einen Spottpreis, der unter den Eigenerzeugungskosten liegt: ÜNH zum Beispiel 9 Pfennig für die Kilowattstunde. Wenn der Wind nun zweihundert Meter vom Haus auf einem Acker kräftiger bläst, darf er nicht mehr privat genutzt werden.

Inzwischen bläst die Armeekapelle aus der US-Kaserne Garlstedt, im Festzelt den „Summertime-Blues“. Passendes Finale: Ein Demonstrativ-Objekt in der Sommersonne, aber die Gesamtsituation auf dem Markt der regenerativen Energien bleibt traurig. Wie spielt doch ÜNH im Solardach-Pavillon die Chancen für Regeneratives herunter: „Herkömmliche Kraftwerke können durch alternative Energien nicht ersetzt werden.“

Holger Bruns-Kösters