BEETHOVEN

■ Bockwurst mit Kartoffelsalat!

Ab und zu darf man auch mal arrogant sein. Am Sonntag abend hat das deutsche Volk vor dem Reichstag bewiesen, daß es keinen Beethoven wert ist. Während Menuhin mit dem Royal Philharmonic Orchestra zur Leonoren-Ouvertüre anstimmt, reißt der Strom der Zuspätkommer nicht ab. Tausende hochhackiger Schuhe klappern auf der asphaltierten Straße. Jeder unterhält sich in ungenierter Lautstärke. Eine Gruppe älterer Leute versucht den Lärm durch entrüstetes Zischen einzudämmen. Umsonst.

Wer sich auf die Rasenfläche hinter der Straße flüchtet, weil dort weniger Leute sitzen, hat noch schlechtere Karten. Alle halbe Minute brettert eine Polizei-Wanne die Straße entlang. Ich erinnere mich an ein klassisches Konzert, das ich einmal im Central Park in New York gehört habe. Auch dort lief Polizei herum. Sie jagte jeden Störer sofort aus dem Park. Hier gehört die Polizei selbst zu den Hauptstörern. Aber das Publikum ist auch nicht besser. Mitten in der Ouvertüre rennt eine Frau mit einem scheppernden Schlüsselbund die Straße hinauf.

Das fünfte Klavierkonzert von Beethoven wird zur Qual. Leuchtketten- und Zigarettenverkäufer schlängeln sich durch die Massen, bieten ihre Ware feil und klimpern mit dem Wechselgeld. Die Sonne geht langsam unter. Erleuchtet sind die Bühne mit dem Orchester und die Würstchenbuden am Rande der Rasenfläche. Um sie scheint es bei diesem Konzert zu gehen. Es gibt sogar Souvenirstände, wo man Sonnenbrillen und Schmuck kaufen kann. Von den Buden kommen immer mehr Menschen mit Gyros und Bier oder Sekt in Plastikbechern. Nach einiger Zeit liegen jede Menge leere Plastikbecher auf dem Boden. Knackend werden sie in den schönsten Pianos zertreten. Eine Mülltonne, auf der jemand sitzt und wippt, kippt plötzlich um. Seitdem kommt eine Gruppe pubertierender Jugendlicher nicht mehr aus dem Kichern heraus.

Über uns ziehen sich die Wolken ein wenig zusammen. Nach der Pause soll die fünfte Symphonie gespielt werden. Ich hoffe, daß bis dahin Beethoven im Himmel Donner und Regen gegen diese Menge und diesen Jahrmarkt schleudert. Aber nein, unter der Inschrift „Dem Deutschen Volke“ konsumiert das Publikum Beethoven gleichermaßen wie Bier und Bockwurst.

Elisa Klapheck

Dem Deutschen Volke?

Der Reichstag glühte noch von der untergehenden Sonne als sich Sonntag abend ca. 50.000 Menschen zum Konzert mit Yehudi Menuhin ihr Lager aufschlugen. Es war ein wunderschöner warmer Sommerabend durch den sich die Klänge von Beethovens Klavierkonzert Nr.5 über das weite Rund ausbreiteten.

Yehudi Menuhin hatte sich angesichts des großen Publikums entschieden, im Anschluß Beethovens 5.Symphonie zu spielen. Der erste Satz hatte gerade für Deutschland und den Platz am Reichstag, wo am 30.April 1945 der Kampf um Berlin sein Ende fand, seine besondere Bedeutung. Das Leitmotiv des Satzes war zugleich die Kennung der deutschsprachigen Sendungen des BBC während des Zweiten Weltkrieges. Nicht nur dieses verwies auf deutsche Geschichte. Yehudi Menuhin, Jude, war einer der wenigen Musiker, die sehr bald nach dem Krieg bereit und willens waren, wieder in Deutschland aufzutreten, um Rachegefühlen der damaligen Zeit durch eine ausgestreckte Hand entgegenzuwirken.

Nun stand der 72jährige wohl vor dem größten deutschen Publikum seiner Karriere und spielte ihnen eines der grandiosesten Stücke der deutschen Kultur- und Musikgeschichte. Unweigerlich stellte sich die Frage: „Wie kann ein Volk zu solchen musikalischen Hochleistungen gelangen und gleichzeitig die Abgründe von Auschwitz hervorbringen.“ Weiter: „Wie kann eine Stadt wie Berlin gleichzeitig Yehudi Menuhin zu einem großen Festspiel einladen, während sie das NS-Mitglied (seit 1933) Herbert von Karajan jahrzehntelang als Chefdirigent behält?“

Vielleicht haben Yehudi Menuhin und das Royal Philharmonic Orchestra mit Beethovens 5.Symphonie viele der Anwesenden zum ersten Mal für klassische Musik interessiert. Es wäre zu wünschen.

Ronnie Golz