Gebärmutter-Kitsch

■ Betr.: "Welche Bewegung macht das Leben?",taz vom 30.7.88

betr. „Welche Bewegung macht das Leben?“, taz v. 30.7.88

Annegret Stopzcyk steuert in ihrem unendlichen biographischen Traktat - tatsächlich aber wenig gradlinig wohin?

Zu 1.) ein paar banalen Verballhornungen ökologischer Theorie, 2) zu ein paar plumpen Simplifizierungen aus dem Bereich der Frühgeschichte Patriarchatsgeschichte, und 3) zu der nicht explizit formulierten These: „Die Männer sind alle Mathematiker. - Die Mathematiker sind alle Verbrecher.“ Daran ist keinesfalls etwas Neues und das Dritte kennen wir auswendig, bzw. können gelangweilt ein Liedchen davon singen. Warum und wozu also dies labyrinthische Geschwätz? Um die letzten Sätze einer Sterbenden unter die Leute zu bringen?

Eingeflochten in die Stopzcyksche Geschichte des „todbringenden“ 5000jährigen Patriarchats hören wir den neuesten Erlösungsmythos der feministischen weisen Frau. Da hoffe auf Wiedergeburt, welche wolle, aber worin unterscheidet sich diese Version nur von der sattsam bekannten und eindeutig abendländisch-christlichen von der Wiederauferstehung? Frau Stopzcyk sagt uns das auch nicht. (...)

Oder ist dieses „ungerade“ Wissen und das Paradies feministischer Wiedergeburt im Reich der delphinischen Gebärmuttergottheit nur entsprechend verleiblichten Damen zugängig, die der gesammelten Abstraktion des Patriarchates abgeschworen haben? Das gepriesene Labyrinth ist nun wahrlich auch keine feministische Erfindung, sondern eine seit Jahrtausenden geliebte Metapher aller möglicher Kulturen. Sie steht z.B. für Orientierungslosigkeit, in der sich das Ich immer nur um das eigene Befinden zu drehen vermag. Sterbenden mag das zugestanden sein. Für Wissenschaftlerinnen, soweit sie als solche ernst genommen werden wollen, reicht diese „Bewegung“ wohl kaum aus.

Den Toten nichts Schlechtes, rät der Volksmund. Mir ist es aber nicht nur peinlich, die sicher tröstlichen, aber leider platten Wahrheiten einer Sterbenden so als den „letzten Clou“ der Frauenforschung serviert zu bekommen; derartige Selbstdarstellung wie von A.Stopzcyk unter dem Vorwand der Trauerarbeit empfinde ich auch als geschmacklose Zumutung. In Zeiten des neuen links-rechten Mütterlichkeitswahns, wo der urwüchsige Gebärmutter-Kitsch (...) blüht und gedeiht, ist es darüberhinaus ein frauen- und wissenschaftspolitsch fataler Akt.

„Nicht immer alles auf sich beziehen“, rät Christel Neusüß, und: „Nicht nur das erkennen, was schon in mir ist, sondern Neues, Fremdes.“ Das wäre Etlichen in der Frauenriege zu empfehlen, besonders wenn die „ganze“ weibliche Omnipotenz oder Urwüchsigkeit, die sie so gern als Urgrund weiblich -menschlicher Vollkommenheit für sich gepachtet hätten, nichts als eine billige Nabelschau ist.

Ansonsten nichts gegen Leiblichkeiten, im Gegenteil. Selbst männliche Leiblichkeit kann ab und an interessante philosophische Perspektiven hervorbringen. Aber was spricht denn eigentlich gegen geistige (!) Lebendigkeit und Produktivität von Frauenseiten? Muß es einer heute schon peinlich sein, wenn sie gelegentlich ihren Kopf benutzt oder gar 1 + 1 zusammenrechnen kann, anstatt den ganzen Tag an ihren Geschlechtlichkeiten zu arbeiten? (...)

Lucia Licher, Literaturwissenschaftlerin, Oldenburg