Moderne Abenteurer

■ Den Weltraum erobern, die afrikanische Wildnis restaurieren und Neuschwanstein niedertrampeln

(1) „Es ist leicht, die Abenteurer unserer Zeit zu hassen. Sie haben es nicht allein mehr mit der erhebenden Sinnlosigkeit allen Abenteuerns zu tun, sondern mit einem größeren Feind: der Lächerlichkeit.„

(Präsent in Berlin: USA - Raumfahrtprojekte und irdische Nutzeffekte, Sonntag, SFB 3, 13.30 Uhr) Da wird einem ein Film der United States Information Agency vorgesetzt, der anfängt wie der Vorspann zu Raumschiff Enterprise: Endloses Weltall und Raumfähren, die herumgleiten und aneinander ankoppeln. Das 3. Jahrtausend habe mit dem Space Shuttle begonnen (von Challenger natürlich kein Wort): Neue Medikamente und Werkstoffe werden sich in der Schwerelosigkeit herstellen lassen, bemannte (auch „befraute“?) Siedlungen auf dem Mond sollen entstehen, selbstdenkende Roboter werden Expeditionen zu weit entfernten Planeten machen usw. usw. Rührend, wie die Amis trotz aller technischer Rückschläge 1988 noch so einen ungebrochenen Glauben an Wissenschaft und Technik verbreiten können. Nahrungsmangel und Hungerkatastrophen in der 3. Welt? Kein Problem: Satelliten werden Wasserreserven entdecken!

Richtige Menschen kommen in diesen Zukunftsvisionen nie vor. Zu sehen sind allenfalls mit Knöpfchendrücken beschäftigte Wissenschaftler. Nicht, daß die Umwelt oder die ganze Erde in den Arsch geht, ist das Schlimme, sondern daß diese Weltraumtechnokraten all die Annehmlichkeiten des modernen Lebens einfach übersehen: Kein Gedanke an Essen, Freizeit, Liebe, Schlafen; Sportarenen, Kinos und Konzertsäale werden von Zukunftsforschern glatt vergessen. Im Zeitalter der atomaren Katastrophe wirken solche Weltraumabenteuer nur noch hinterwäldlerisch.

(2) „Die Frage, die uns alle beschäftigt: Gibt es noch Abenteuer, nachdem es keine Kolonien mehr gibt? Sie ist natürlich falsch gestellt.“ Denn selbst für Revolutionäre ist das Abenteuer, den Kolonialismus zu bekämpfen, verschwunden, da nicht der Dschungel, sondern die Weltbank für die Länder des Abenteurers maßgeblich geworden ist.

(Antilopen statt Kühe - Über die wirtschaftliche Nutzung von Wildtieren in Afrika, So., ZDF, 19.30 Uhr) Wieder mal beginnt man irgendwo umzudenken: Nachdem 100 Jahre lang die afrikanische Wildnis zu Farmland dekultiviert wurde, Eingeborene jeden erreichbaren Baum zu Brennholz machten und blöde Kühe jegliche Vegetation niedertrampelten oder kahlfraßen, kommen weiße Herrenmenschen in Südafrika nun auf die Idee, alles rückgängig machen zu wollen: Aus Farmland werde Wildnis. Seltene Tierarten werden ausgesetzt (und bei zu starker Vermehrung kapitalträchtig von Trophäenjägern wieder abgeknallt), um diese einmalige Flora und Fauna für unsere ferne Zukunft zu erhalten. Nebenbei gelange die einheimische Bevölkerung so wieder ganz legal (sprich: bei ausreichendem Einkommen) in den Besitz von nahrhaftem Wildfleisch zur Ernährung der Familie.

Interessant, mit welcher Dreistigkeit politischen Kämpfe zwischen Schwarz und Weiß in Südafrika aus dieser Art von Sendungen herausgehalten werden: Allenfalls ein alter Eingeborener darf seine Bauerndummheiten zum Besten geben, Früher war alles besser, oder Die Frauen sind es gewohnt, körperliche Arbeit zu verrichten, kommentiert man Bilder von Sklavenarbeiterinnen, die Steinmassen auf dem Kopf transportieren.

(3) „Das Abenteuer ist eine Herausforderung an die Welt. Wie aber, wenn die Welt sich nicht herausfordern ließe? Sie hat das Gesicht eines rundlich-dummen Lokalpolitkers.„

(Kulturreportage: Neuschwanstein - Denkmalschutz und Tourismus im Widerstreit, So., ARD, 21.55 Uhr) „Auf den Bergen wohnt die Freiheit / Auf den Bergen ist es schön / Wo des König Ludwigs schöne Schlösser stehn“, tönt ein bayerischer Trachtenchor, während Politker die Grenzen des Zumutbaren überschritten sehen: Das Märchenschloß Neuschwanstein droht vom modernen Tourismus niedergetrampelt zu werden. 10.000 Besucher quälen sich tagtäglich hoch (die Fußkranken in der Kutsche), müssen stundenlang im Schloßhof ausharren, um dann in 30 Minuten durch 16 Räume geschleust zu werden. Die bayerische Schlösserverwaltung plant schon, Anzeigetafeln aufzustellen, um über Staulänge und Wartezeiten zu informieren.

Der moderne Kultur-Tourismus hat endgültig die Niederungen der dumpfen Massengesellschaft erreicht: Die Masse Mensch trampelt blindwütig und kulturbeflissen (nichts sehen, nichts hören, aber alles angrabbeln, und: Es war wunderbar! Nein, von König Ludwig weiß ich nichts) die eigenen Götzen nieder. Das wär‘ doch was: Opernhäuser, Reichstag, Bundestag und alle anderen hehren Denkmäler von einer tumben Menschenlawine zu Schutt und Asche verwandelt ...

(4) „Das Abenteuer ist von seiner Perversion nicht zu trennen.“ Oder: Das Abenteuer ist eine Möglichkeit, um seinem Schicksal zu entrinnen, und sei es auch nur seinem Schicksal als Fernsehzuschauer... Torsten Alisc

(Die vier Zitate entstammen Georg Seeßlens „138 verwegenen Notizen zum Abenteuer“, in: Bluebox 1, Magazin zur populären Kultur, Ullstein-Verlag, 1987)