Vom Nachttisch geräumt: SAMMLER (Barocke Sammellust - Die Bibliothek und Kunstkammer des Herzogs Ferdinand Albrecht zu Braunschweig-Lüneburg

■ Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in Wolfenbüttel,Herzog Augustbibliothek)

Die Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel ist eine der wichtigsten Forschungsstätten zur europäischen Aufklärung. Immer wieder organisiert sie auch Ausstellungen, die ihre Bestände dem Publikum vorstellt. Zur Zeit zeigt sie unter dem Titel „Barocke Sammellust“ die Bibliothek und Kunstkammer des Herzogs Ferdinand Albrecht (1636-1687), eines Sohnes des Herzogs August. Ferdinand Albrecht als jüngster Sohn wurde kein regierender Fürst, sondern mußte sich mit dem Jagdschloß Bevern und ein paar Bedienten begnügen. Seine Bibliothek brachte es auch nicht auf mehr als 3000 Bände. Eine bescheidene Zahl. Sein regierender Vater, der Zugriff auf die Staatskasse und damit die Geldbeutel seiner Untertanen hatte, konnte 28 415 Bände zählen.

Die Wolfenbüttler haben mit größtem hermeneutischem Geschick aus der schmalen Bibliothek Wichtigstes herausgekitzelt. Die Ausstellung habe ich noch nicht gesehen. Der Katalog aber ist ein Juwel. Jochen Beplers Beitrag „Zur Typologie des Sammlers Ferdinand Albrecht von Braunschweig-Lüneburg“ ist eine ganz außergewöhnlich hellsichtige Interpretation scheinbar trockensten Stoffes. Der Herzog, der niemanden zu regieren hatte, herrschte in seiner Bibliothek. Als echter aufgeklärter Fürst herrschte er nicht nur, sondern er arbeitete auch. Er suchte selbst nach den zu erwerbenden Büchern, kaufte sie persönlich und inventarisierte sie selbst. In jede Neuerwerbung trug er nicht einfach nur seinen Namen, das Datum des Erwerbs und die Signatur ein, sondern fügte meist noch ein paar bittere Bemerkungen hinzu. Das sieht dann so aus: „Wir Ferdinand Albrecht, Von Gottes Gnaden, Hertzog zu Braunschweig und Lunaeburg, des Fürstlichen Evangelischen Stiffts zu Strasburg Senior haben dieses Buch, Und aller Köstlichste Kleinod in dieser Eitelkeit, das uns bringet zur ewigen Freüd und Seeligkeit, vor Acht Rtl:, von dem Rector zu Zell M. Ludolph Georg Lunden, gekaufft. Geschrieben Beveren in Unserer Fürstlichen Residentz Bibliothec den 13. Mej 1677. Montag. Am tage Christiani. Unseres wandels, in diesem sandichten wege, Und trübseeligen Wallfahrt Ein und Viertzig Jahr weniger Neün tage.“ Beplers Aufsatz ist im zweiten Teil nichts anderes als eine Exegese dieser Eintragungen. Der von den Regierungsgeschäften ausgeschlossene Herzog flieht und geht auf Reisen oder schließt sich ein in seine Bibliothek, igelt sich ein in seiner Paranoia: „Bedrohung und Verfolgung unterstellt er unermüdlich, fast wahnhaft der Außenwelt. Man hintergeht und bespitzelt ihn. Die Vergeblichkeit seiner politischen Hoffnungen, die ständige Anstrengung, seine zerfallende Identität gegen alle Kränkungen der Ohnmacht zu behaupten, äußert sich im Alltag in heftig aufflammendem Jähzorn, in der meist unmittelbar physischen Aggression gegen die eigene Familie, die Dienerschaft, auch Außenstehende. Die andere Seite des Zorns ist die ihn lebenslang begleitende Melancholie, die Aggression gegen sich selbst.“ Die Büchersammlung als Wahnwelt. Alles abgelesen oder jedenfalls verdeutlicht an den Eintragungen des Herzogs in den Büchern seiner Bibliothek. Eine exegetische Glanzleistung. Die Abbildungen dieser Seite sind alle aus diesem Band.

Barocke Sammellust - Die Bibliothek und Kunstkammer des Herzogs Ferdinand Albrecht zu Braunschweig-Lüneburg, hrsg. von Jill Bepler, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in Wolfenbüttel, Herzog Augustbibliothek vom 28.5. - 30.10.88, VCH Verlagsgesellschaft, Acta humaniora, 288 Seiten, 134 s/w Abbildungen, 58 Mark.BLOCKENDE