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■ Eleanora McCarthy in der Piano-Bar im Hotel Steigenberger

Der Barmann wienert stoisch die Gläser, Tom Ewell hängt an der Theke, trinkt seinen zehnten Manhattan, plötzlich erscheint Julie London und lockt: Come on into my house... Um dem zu widerstehen, bestellt sich Tom Ewell in The girl can't help it gleich noch einen Manhattan. Oder: Ellen Burstein in Alice doesn't live here any more. Filmträume. Mein Traum: Bars, in denen auf die Bestellung Margarita oder Manhattan eilfertiges und wissendes Mixergeklapper folgt. Und noch ein Traum: eine Frau am Piano.

Ab 19 Uhr, wenn die Hitze langsam wegschleicht und die Nacht noch weit entfernt ist, singt Eleanora McCarthy Standards im Hotel Steigenberger. Die Tür zur Piano-Bar ist zum Los-Angeles-Platz hin offen, beinahe wäre ich daran vorbeigelaufen. Es ist ein großer Raum mit vielen weichen, tiefen, bequemen Sesseln, einer kleinen hölzernen Tanzfläche, über die regelmäßig die wenigen Besucher stolpern, und einem Piano. Eleanora McCarthy spielt mit der Rechten Läufe und sucht mit der Linken nach Melodien. What's your request? - Summertime? - Oh, i'll try. Sanft und fest, ohne Künstelei oder Schmalz klingt dieser Schmachtfetzen. Sie interpretiert nicht Interpretationen, sie spielt kein Original, sie singt Eleeonora McCarthy's Summertime oder ihr Sophisticated Lady von Duke Ellington oder ihr Sweet Georgia.

Der salzige Rand vom Margaritaglas verschwindet langsam, zuerst war da nur ein warmes Gefühl im Magen, jetzt breitet es sich aus. Julie London, Marlene Dietrich, Barbara Stanwyck und Rita Hayworth flanieren; Raymond Burr, Alan Ladd, Elisa Cook und Robert Mitchum bestellen sich Drinks doch die Piano-Bar ist fast leer. Wenn keine Wünsche und Vorschläge kommen, spielt Eleanora McCarthy ihr umfassendes Repertoire; nicht eine Wiederholung in drei Stunden. I'm Irish - man glaubt ihr, es gibt da diese Ruhe und Sehnsucht in traurigen Liedern. Ein Besucher liest anfangs Zeitung, legt sie aber dann zur Seite. Die meisten Lieder kenne oder erkenne ich nicht, weil sie sie so eigenwillig singt. Sogar bei Billie Hollidays My man muß ich mich nicht winden wie sonst bei all den danebengegangenen Billie Holliday-Interpretationsversuchen. Aber ihr größtes Können zeigt sie bei As time goes by. Aus diesem Lied, das wahrscheinlich sogar ein Aboriginal mitsummen könnte, läßt sie die Melodie vollkommen neu erstehen. Vielleicht hat sie keine Vorbilder, vielleicht hat sie ganz viele Vorbilder gehabt und sich dann von allen wieder getrennt. Ich frage nach Blue Moon, das von Dean Martin über Elvis Presley bis Bob Dylan alle gesungen haben. Und wieder gibt es keine Erinnerungen.

Der Margarita ist nun endlich im Gehirn angelangt und ich würde gerne mitsingen. Doch wie in Hypnose wippen nur meine Füße, und die Träume halten mich im Sessel fest. Ich bestelle einen Manhattan.

U.K.

Eleanora McCarthy singt und spielt noch einmal heute abend ab 19 Uhr in der Piano-Bar im Hotel Steigenberger.