KUNSTKOST - STRENG GESCHMACKSNEUTRAL

■ Heute im Test für unsere LeserInnen: Zwangsgaststätte „Zur glückseligen Augustenburg“

Dieses wohl einmalige Lokal in der alten Domstadt Regensburg, ist sehr leicht zu finden. Jeder Streifenpolizist wird Ihnen den Weg dorthin genauestens beschreiben können. Noch gilt diese Küche als Geheimtip in auserwähltem Kreise. Hier können Sie, wo findet man das sonst heute noch, in Ruhe und stiller Besinnlichkeit Ihr Mahl zu sich nehmen. In der sonst so hektischen Welt hat man hier die Ruhe des Gastes fast bis zum Exzeß getrieben. Kein aufdringlicher Ober belästigt Sie, niemand rempelt gegen Ihren Stuhl um sich in der Eile einen der freigewordenen Plätze zu ergattern. Die Räumlichkeiten sind so raffiniert aufgeteilt, daß die doch sehr lästige Fragerei des Tischnachbarn, was denn heute zu empfehlen wäre, unmöglich wird.

Gäste für die es zum guten Ton gehört hier Ihr Mahl einzunehmen, haben die alternative Möglichkeit, nur zwischen einem Gericht wählen zu können, dankbar aufgenommen. Entfällt doch so die sprichwörtliche Qual der Wahl.

Wenn auch nicht unbedingt erforderlich, empfiehlt sich doch eine rechtzeitige Reservierung. Das tägliche Menü wird vom Küchenchef und seinen Mannen in streng limitierter Auflage zubereitet, um die Geschmacksneutralität die den Ruf des Hauses begründet, zu gewährleisten. Fehlplanungen des Gästezustromes führen mitunter, wie heute beim Putengeschnetzelten, zu einer „Überstreckung“, um nicht Verwässerung zu sagen. Dieses schadet jedoch der zum Dogma erhobenen Geschmacksneutralität in keinster Weise.

Serviert werden die Speisen in sehr ästhetisch geformtem Edelstahlgeschirr. Ist es doch früher hin und wieder vorgekommen, daß durch das sehr kraftaufwendige Zersägen von Rindfleisch, aus dem vormals verwendeten Aluminiumgeschirr Späne mit abgehoben wurden, die die Geschmacksneutralität erheblich beeinträchtigten.

Doch nun zum wesentlichen, zum kulinarischen Genuß oder Verdruß, je nachdem ob Sie noch Geschmacksnerven besitzen oder nicht. Das Auge ißt mit - eine alte Weisheit. Die farbliche Abstimmung der einzelnen Komponenten war mit ihren weichen Pastellfarben sehr harmonisch. Der creme-weiße, lockere, langkörnige Reis bildete eine Harmonie zum gleichfarbenen, in grobe Streifen geschnittenen Sellerie. Das Auge erfreute sich an der farblichen Abwechslung der ockerfarbenen Sauce. Der Anrichtmeister, der mit der kreativen Gestaltung meines Tabletts betraut war, verstand es durch raffiniertes Verstecken des Putenfleisches meine Neugierde zu erwecken. Aus der Curry-Sauce lugten vorwitzig die Spitzen von zwei Stückchen Putenschnetzel heraus.

Nach den ersten zwei Gabeln, mit denen ich die bereits erwähnten Stückchen Putenschnetzel mit etwas Reis aß, konnte ich auch nach intensiver Suche keine weiteren Teile eines Puterichs finden. Während ich noch genüßlich auf dem Bissen Fleisch kaute, drängte sich mir ein Verdacht auf: Vermutlich kreiste just als das Spülwasser erhitzt wurde, ein betagter Puterich über dem Bottich. Er muß wohl hier einen Schlaganfall erlitten haben und in den Bottich gestürzt sein. Dabei muß er versehentlich einen Sack mit Curry umgerissen haben, der ebenfalls im Bottich landete. Das wäre nicht weiter tragisch, vom traurigen Schicksal des Puterichs einmal abgesehen, aber ein Puterich für fast 200 Portionen ...? - Urteilen Sie selbst.

Der Reis war vorzüglich - körnig, bissig. Der Selleriesalat schmeckte etwas holzig, was aber sicher an der Knolle lag. Hier trifft den Küchenchef keine Schuld, da der Selleriesalat unverändert aus der Dose serviert wurde.

Sollten Sie, liebe LeserInnen, einmal ähnliche Erfahrungen in diesem Lokal gemacht haben, dann schreiben Sie mir. Der in der letzten Saison verliehene Preis „Die goldene Galle“ könnte dann von der Jury wieder eingezogen und die angedrohte Sprengung der Küche durchgeführt werden.

B.S. Regensburg