DIE WELT AM BETT

■ Forschung, Geschichte und Zerstreuung am Montagabend

Man kann auch mit altem Schwarzweiß-Fernseher, Drahtgewurschtel als Antenne und ohne Zapping (mit „ä“) ein befriedigendes Abendprogramm sich zusammenstellen - dies zu Kapielskis Kabelkuckereien, außerdem atmet seine Serie eine DDR2-Feindlichkeit, die an die dunkelsten Stunden deutscher Programmvielfalt erinnert, DDR2 ist nämlich ganz prima, aber der Reihe nach: Zuerst - leicht verwackelt, mit quasi kalter Bildröhre noch - der leicht ausländerfeindliche BR-Beitrag über einen Münchner KoB. Dann, weiter auf dem Ersten (ohne Fernbedienung wechselt man nicht so gerne, und dann muß die Hilfsantenne am Fenster jedesmal neu justiert werden): Gordian Troeller über den Stand der Frauenbefreiung in Ägypten: Es sieht finster aus, aber er, der Stand, wird immer feministischer, seit Claude Deffarge tot ist, woran man sehen kann, daß Frauen doch eine eher bremsende Funktion im Zweierkisten-Rennen haben, aber egal: gute Interviews mit Hebammen, Bäuerinnen, scharfe analytische Kommentare aus dem Off.

Nach einem kurzen Sat1-Intermezzo (Boxkampf) rüber zum ZDF: eine witzige „Kleine Kulturgeschichte des Liegens“ - vom Bett aus regiert und alle Mitspieler (Postbote, Analytiker, Putzfrau, Fürst, etc.) in ihren eigenen Rollen auftretend. Das Bett als Wachzone der wahrhaft Kreativen ist eine plausible Theorie, die vor allem die Bettfernseher anspricht. „Das Rad, die Null und das Bett sind die drei großen Erfindungen der Menschheit“ - so schon mein Vetter, der Physiker. Schließlich - auf DDR 2 - der Höhepunkt: Die am Tag zuvor aufgezeichnete Sonntagsvorlesung der Charite: „Entwicklung und Störung der Gehirnfunktion des Kindes“ (eine wunderbare Mischung aus Talk-Show, Agora, Demonstration sozialistischer Dialogfähigkeit und tumbem Expertentum, Marke „Einer wird gewinnen“). Jedes Kapitel beginnt mit dem Satz „Das nächste Diapositiv“, es werden US -Gehirnexperimente und der Stand der DDR-Gehirnforschung ausgebreitet: das Gehirn als Computer („Signalerkennung“, „Programmbildung“, aber: „Anlage und Umwelt ist ein entscheidender Punkt“, und: „Alkohol und Nikotin schädigen die frühkindliche Gehirnentwicklung“, Fazit: „Ohne Gehirn geht auf unserer Erde nichts!“ „Informationseingang, Informationsausgang - das ist entscheidend“). Die Zuhörer diskutieren die intelligenzfördernde Wirkung der US -Babytragetücher, einige möchten gerne demnächst eine Vorlesung über „Psychotherapien“ hören, einmal fällt der Name „Freud“. Der Prorektor macht die Abmoderation: „Bei der Kinderforschung ist zu berücksichtigen: Jedes in der DDR geborene Kind ist ein Wunschkind. Dieses Land ist ein kinderfreundliches Land.“

Wieder rüber zum Ersten: Die letzte halbe Stunde noch Monologe von Jakow und Luba Silberberg, die Kamera bleibt auf ihren Gesichtern, während sie über die persönlichkeitszerstörende Wirkung ihres Überleben-Wollens unter den Nazis, er im Sonderkommando in Auschwitz, reden.

Dann Nachrichten (Oh: zwischen Iran und Irak ist der Krieg vorbei! Und die Konflikt-Geographie hat sich nach New York verlagert, dabei kennen wir uns mittlerweile an der Straße von Hormuz so gut aus wie am Breitscheidplatz), schlußendlich die immer ausgetüftelter werdende Wetterkarte.

Fernsehn ist nicht wie der Film - Chemie - sondern Elektronik, man muß da anders rangehen (Sehgewohnheiten erbrechen). Zuzustimmen ist Kapielski auch bei seiner Kritik am „Programmschluß“ (Brennschluß): Solange wie es kein Fernsehn rund um die Uhr gibt, kann von einem „schöpferischen Wettbewerb der Systeme“ (Honnecker) und von einer „wirklichen Programmvielfalt“ (Strauß) nicht die Rede sein, das Sat1-Frühstücksfernsehen ist da nur Augenwischerei!

Vogel/Höge