Verwandt, verbannt, verhaßt

■ Robert Aldrichs Film „Was geschah wirklich mit Baby Jane? “ (1962) mit Bette Davis und Joan Crawford: Ein grausam-faszinierender Psycho-Schocker über zwei in Haß erstarrte, alternde Schwestern

Was wirklich mit Baby Jane geschah, erfährt sie selbst und das Publikum erst ganz zum Schluß, und darum soll es auch hier nicht verraten werden - obwohl das Psycho-Drama zweier Schwestern kein Quentchen seiner Horror-Spannung verlöre, wenn man die Wahrheit wüßte. Viele wer

den sie ohnehin schon wissen, denn Robert Aldrichs berühmter Film ist 26 Jahre alt, wurde auch schon im Fernsehen gezeigt und gilt als einer der aufregendsten der Gigantinnen Bette Davis und Joan Crawford. Ein Film, bei dem es einen von der ersten bis zur letzten Szene in der Seele

gruselt, und ob man ihn schon kennt oder nicht: Auf die Chance, sich zwei Stunden lang von großer Leinwand herab so virtuos durch Abgründe jagen zu lassen, sollte niemand verzichten.

Jane Hudson und ihre Schwester Blanche haben beide ihre großen Zeiten als Publikumslieblinge hinter sich. Die eine, „Baby“ Jane (Bette Davis), war einst ein puppiger Kinderstar und hat ihre verbissen-eifersüchtige Schwester nach allen Regeln der affigen Show-Kunst ausgestochen. Der Film beginnt mit einem gespenstischen Auftritt der kleinen Jane, die Kußhändchen wirft und als Daddies Liebling singend und tanzend große Triumphe feiert. Gespenstisch, weil schon hier die grausame Ambivalenz zu spüren ist, von der das kleine Mädchen sein ganzes Leben lang gepeinigt bleiben wird: Die Sucht nach tosendem Applaus und die Vergänglichkeit des Ruhms eines ausgepowerten Kinderstars, der ja nicht ewig niedlich bleibt. Dazu die Haß-Liebe zum Daddy, der auf der Bühne vor Liebe hinschmilzt und seinem „Baby“ nach dem Auftritt nicht mal ein Eis kaufen will. „Ich verdiene für Euch das Geld! “, brüllt die Kleine mit haßverzerrtem Gesicht, das auf der Bühne noch voll gekonnt-berechneter Süße war. Widerlich, denkt man, wie die Umstehenden im Film, und gleichzeitig spürt man schon hier die Tragik, die sich in diesem ekelhaften, bedauernswerten Wesen zusammenbraut.

Die große Zeit der neidischen

Schwester Blanche (Joan Crawford) kommt später. Sie wird zum Filmstar und kann sich leisten, in jeden ihrer Verträge eine Klausel einzufügen, nach der auch Jane beschäftigt werden muß. Zum Ärger der Produzenten, denn Jane taugt als erwachsene Künstlerin nichts mehr. Was aber als neidlose Großzügigkeit von Blanche erscheint, ist in Wahrheit späte und wirkungsvolle Rache an „Baby“ Jane: Der ehemalige Kinderstar macht sich, neben der talentierten Schwester, in jedem Film nur lächerlich. Und eines Tages passiert es dann: Ein Frauenfuß am Gaspedal, zwei Frauenfüße, die zum Parktor gehen, um es zu öffnen, der Fuß am Gaspedal tritt durch: Glassplittern, Krachen, Schreien - Schnitt, und nach diesen komprimierten, das Schwestern-Drama aufbauenden Szenen beginnt der eigentliche Film, die Hölle aus Abhängigkeit und Haß, in der die beiden altgewordenen Frauen leben.

Blanche, immer noch schön, sitzt seit dem „Unfall“ im Rollstuhl. Sie wird versorgt von Jane, deren Gesicht vom Alkohol und von beginnendem Wahnsinn verwüstet ist. Sie trägt noch immer „Baby„-Schleifchen in den Haaren und sieht überhaupt aus wie die grauenvoll vergreiste Karikatur des kleinen Mädchens. Die unheimlich bebende Kraft der bitterbösen Spannung, die zwischen der verzweifelten Gelähmten und der verzweifelt Infantilen herrscht, läßt einen bis zum Schluß des Films nicht los.

Janes paranoider Sadismus,

Blanches - gezwungenermaßen - „rückgratloser“ Masochismus schaukeln sich aneinander hoch, brauchen und ver-brauchen sich wechselseitig. Beide Frauen sind aufeinander angewiesen und arbeiten, jede auf ihre Weise, an der Zerstörung ihrer unerträglichen, krankhaft lebensnotwendigen Beziehung. Die Vergangenheit ist ständig gegenwärtig - in pervertierter Form: In einer der schrecklichsten Szenen dieses Films singt Jane mit versoffener Stimme und neckisch hochgehobenem Rock ihr einst berühmtes „Daddy-Baby„-Lied, wirft Kußhändchen ins Leere und - erwacht aus ihrer Trance mit Grauen in den Augen vor ihrem verwüsteten Gesicht im Spiegel. Ein kurzer Augenblick realen Schreckens - und schon treibt es sie weiter in den Wahn, wie damals wieder aufzutreten, vom Publikum als Daddies Liebling beklatscht zu werden.

Je besessener sie diesem Wahn verfällt, desto zielgerichteter versucht sie, Blanche auszuhungern, sie gänzlich von der Außenwelt zu isolieren, sie schließlich umzubringen. Und wenn man auch zu wissen glaubt, was diese beiden tragisch verketteten Schwestern treibt - irgend etwas Geheimnisvolles, Unausgesprochenes schwelt ständig zwischen ihnen. Am Ende wird es ausgesprochen, doch da ist es längst zu spät: Blanche stirbt, und Jane hat sich endgültig in das groteske „Baby“ zurückverwandelt.

Sybille Simon-Zülch

Schauburg, 23 Uhr.