Demokratisches Modell oder „recycelter“ Staatsterror?

■ Nach zweieinhalb Jahren ist die „Rosenkranzrevolution“ in dem fernöstlichen Inselstaat wurmstichig geworden

Rainer Werning

Kein ähnliches Ereignis in einem Land der Dritten Welt fand in jüngster Zeit solch ein Medienecho wie der Regierungswechsel in Manila im Februar 1986. Damals löste die „unbescholtene Hausfrau“ Corazon C. Aquino den langjährigen Alchimisten des Terrors und Diktator Ferdinand C. Marcos als siebte Präsidentin der Republik ab. Telegen wurde die Message von Manila ausgewalzt und vermarktet: In Südostasien hatte es ein Volk verstanden, sich gewaltlos eines despotischen Finsterlings zu entledigen!

Nicht minder emphatisch fielen die Jubelfeiern in Manilas Straßen aus. Über Nacht war eine heimliche Nationalhymne entstanden: „Nonnen, Priester und Soldaten vollzogen einen Schulterschluß und verwandelten diesen Teil der Erde in einen Himmel!“ Sogenannte Revolutionsalben machten die Runde. Selbst deren billige Volksausgaben enthielten in der Mitte ein auf Pergamentpapier vorgedrucktes „Zertifikat über die Teilnahme an der People Power-Revolution vom 22. bis 25. Februar 1986“.

All das war Bestandteil einer brillanten politischen Semantik der Konterrevolution - 'People Power‘. Was nichts anderes heißt als: „Das Volk als Machtfaktor.“ Dieser Begriff war von den geistlichen, vornehmlich jesuitischen, Beratern der Präsidentin als Kampfbegriff gegen das von der Linken propagierte Peoples-Power-Konzept, der Volksmacht also, aus der Taufe gehoben worden. Ohne Frage: das Volk hatte revoltiert, aber besetzte es nun auch durch Aquino die Bastionen der Herrschaft?

Im westlichen Ausland, vor allem in den USA, war man vorerst all smiles. Lange hatte man Marcos die Stange gehalten. Während der Kriegsrechtsära (1972-81) galten die Philippinen immerhin in der Sicht solcher internationaler Institutionen wie der Weltbank und des IWF als „Vorzugsgebiet“. Finanzielle, politische und moralische Unterstützung wurde gewährt, solange Marcos „sein“ Land nach westlichen Leitlinien „entwickelte“ und der „kommunistischen Subversion“ einen Riegel vorschob. Doch spätestens nach der Ermordung des Marcos-Rivalen und Ehemanns der jetzigen Präsidentin, Benigni Aquino, im August 1983, wandelte sich das Bild schlagartig. Die Neue Volksarmee (NPA) war zwischenzeitlich zur weltweit am schnellsten wachsenden Guerilla geworden und selbst die Berufsoptimisten des Weltbank-IWF-Konglomerats mochten in Marcos nicht länger mehr ihren Gewährsmann erblicken. In enger Verbindung mit US -Behörden entwickelte sich ein Krisenmanagement, das bis heute anhält. Ihr gemeinsames Kalkül: Wie konnte nach den in den USA als „Desaster“ empfundenen Vietnam-, Iran- und Nicaragua-Erfahrungen verhindert werden, daß wiederum der Sturz eines „westlich“ orientierten Diktators mit dem Ausscheren des betreffenden Landes aus dem amerikanischen Herrschaftsbereich einhergeht.

Das Abtakeln des Diktators

Eine gute Frage, auf die man noch bessere Antworten fand. Seit Anfang 1984 hatten hochrangige amerikanische Militärs, Politiker, Geheimdienstler und Bankiers mehrfach den Archipel bereist, um sich vor Ort ein Bild vom Ausmaß der Guerillaaktivitäten und der Überlebensfähigkeit des Marcos -Regimes zu machen. Einem interministeriellen Gremium aus Repräsentanten des Pentagon, State Department, des Weißen Hauses, Finanzministeriums sowie der CIA oblag der Entwurf einer konsistenten Krisenlösungsstrategie. Grundkonsens: Nebst dem militärstrategischen und für den Westen „ordnungspolitischen“ Aspekt blieben die Inseln als ökonomisch bedeutsam eingestuft. Schließlich fällt den Philippinen (als Amerikas einstige und einzige Kolonie in Asien) im Pazifischen Becken die Funktion eines cordon sanitaire zu.

Eine delikate Mischung aus ökonomischen, politischen und militärischen Elementen lieferte der von allen beteiligten Krisenbewältigern ausgearbeitete Philippinen-Plan, den Präsident Reagan im Januar 1985 als nunmehr gegenüber Manila verbindliche „Nationale Sicherheitsdirektive“ unterzeichnete. Um die „politische Restabilisierung“ der gesamten Region zu vermeiden, mußte demnach auf Marcos Druck ausgeübt werden. Im O-Ton hieß es: „Präsident Marcos ist Teil des Problems, aber auch Teil dessen Lösung.“

Erwünscht war seitdem eine als Gegengewicht zu Marcos aufzubauende Allianz aus „Reformkräften“ innerhalb des Militärs mit gemäßigten bürgerlichen Oppositionellen, wobei den unter internationalen Finanzkreisen aufgrund ihrer Expertise geschätzten Wirtschaftstechnokraten die Rolle eines Scharniers zukam. Die politisch-diplomatische Aufwertung dieser Allianz vollzog sich im Einklang mit dem Bemühen, Marcos zu vorgezogenen Präsidentschaftswahlen zu drängen. William Casey, damals CIA-Chef, und Reagans Sonderbeauftragter, Senator Paul Laxalt, machten diesen Deal perfekt; Ende 1985 erklärte Marcos im amerikanischen Fernsehen (!), er stelle sich diesen vorgezogenen Wahlen. Diese Konzession war Marcos umso leichter abzuringen, als „seine“ marode Wirtschaft dringend „fresh money“ benötigte.

Um die Jahreswende 1985/86 rückten der Zögling der renommierten West Point-Militärakademie und Marcosgegner, Generalleutnant Fidel V. Ramos, sowie das mittlerweile gebildete oppositionelle Kandidatengespann „Cory“ Aquino und Salvador H. Laurel ins US-Interesse. Auf Drängen der USA und des der katholischen Kirche, Manilas Erzbischof Jaime Kardinal Sin, konnten sich die beiden auf die gemeinsame Plattform der Vereinigten Nationalistischen Demokratischen Organisation (UNIDO)einigen.

Last not least erfuhr auch die im Frühjahr 1985 erstmals in Erscheinung getretene „Reformbewegung der Streitkräfte“ (RAM) eine Aufwertung. Und zur RAM hatte kein geringerer als der langjährige Verteidigungsminister Juan Ponce „Romabo“ Enrile Fäden geknüpft. Enriles Motiv: er war in peinliche Finanzskandale verstrickt und hatte sich vorwerfen lassen müssen, nichts zur effektiven Bekämpfung der Guerilla beigesteuert zu haben. Der Hauptslogan der RAM, Loyalität gegenüber der Verfassung höher als die zu einer bestimmten Person(engruppe) zu veranschlagen und die grassierende Korruption der ihrer Meinung nach inkompetenten „Fettbäuche“ um den Marcos-Intimus, General Fabian C.Ver, auszumerzen, fügte sich nahtlos in das Pentagon-Kalkül ein. Dieses sah vor, im Militär ein internes oppositionelles Gegengewicht zu stärken, das sich seiner eigentlichen Aufgabe - der Guerillabekämpfung - besinnt.

Aus alledem resultierte eine Allianz dreier gewichtiger Machtblöcke - UNIDO, Ramos-Enrile-Fraktion des Militärs und Kirchenhierarchie -, die maßgeblichen Anteil am Sturz des Diktators hatten. Marcos‘ Abtritt war folglich einer Kombination aus massivem Volkswiderstand, der Kehrtwende wesentlicher Teile des Militärs und einem äußerst sensiblen, rechtzeitigen US-Krisenmanagement geschuldet, was in letzter Instanz den relativ friedlichen Machtwechsel gestattete.

Aufgrund dieser Besonderheiten gelangten im Februar 1986 personelle (zivile) Restbestände der Diktatur, „geläuterte“ Militärs sowie konservativ bis reaktionäre und liberaldemokratische Elemente der schillernden Anti-Marcos -Front an die Macht. Letztere genossen in jenen bewegten Februartagen besondere Publizität; immerhin konnten sie zumindest in Manila - die Freilassung langjähriger, prominenter politischer Gefangener erwirken. Heute ist keiner dieser Liberalen mehr im Kabinett. Genese des Aquinismus

Die euphorische Aufbruchstimmung, da viel diskutiert und emsig improvisiert wurde, endete mit der Nominierung der Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung. Diese wurden nicht demokratisch gewählt, sondern von der Präsidentin auf Druck des Militärs handverlesen. Bis auf einen Vertreter der Bauern blieb die Masse der Bevölkerung (Bauern, Arbeiter und ethnische Minderheiten) „außen vor“.

Seit der Jahreswende 1986/87, als Militärs selbst Schlüsselpositionen im Staatsapparat übernahmen und durch „Cory“ ihren „Vernichtungsfeldzug gegen den Kommunismus“ zum Eckpfeiler der Regierung machten, wandelte sich diese zu einem militärisch-zivilen-Aufstandsbekämpfungs-Regime. Die zwischenzeitlich hochgespielten Putschversuche seitens des Militärs legitimierten das faktisch immer härter werdende Vorgehen gegen die Linke. Außerdem ließ sich damit, wie der neue US-Botschafter in Manila, Nicholas Platt, im Herbst 1987 erklärte, eine Berechenbarkeit und Kontinuität der philippinischen Politik herstellen!

Was diese Qualität im besonderen auszeichnet, ist die im Vergleich zur Endphase der Marco-Herrschaft große politische Flexibilität und soziale Integrationskraft. Unter Aquino sind sämtliche Kräfte hoffähig und politisch protegiert, die sich in Wort und Tat einem vehementen Antikommunismus verschreiben. Darin liegt gleichermaßen die größere Gefährlichkeit und relative Stärke des gegenwärtigen Regimes.

Sozial preist es unablässig die Tugend der Amnesie; alte Freveltaten des Militärs sollen „vergessen“ (gemacht) werden, um der nationalen Aus- und Versöhnung eine Chance zu geben.

Politisch gibt es sich zentristisch, dem goldenen Mittelweg „jenseits von Diktatur und Kommunismus“ folgend, was gerade im westlichen Ausland Gehör findet und Faszination ausstrahlt. (Bereits im Frühjahr 1986 gelang Reagan eine ungemein scharfsinnige Formulierung, als er erklärte, die USA unterstützten nicht nur wie im Falle Nicaraguas eine Contra von außen, sondern sie seien bemüht, wie im Falle Manilas eine Contra an der Macht zu haben! Tritt dieser erwünschte Endzustand der „Demokratie“ ein, bleiben selbst die brutalsten Massaker des Klientel-Regimes entschuldbar. Sie geschehen ja innerhalb des Parameters der Interventionspolitik der westlichen Führungsmacht und sind deshalb, wie Noam Chomsky hervorhob, „konstruktiv“. Außerdem, und das ist des Pudels Kern, machen sie das direkte Flaggezeigen amerikanischer Truppen obsolet und bleiben, da als interne Angelegenheit heruntergespielt, unterhalb der Reizschwelle internationaler Publizität.)

Ökonomisch wird (in Abkehr der unter Marcos zentralistisch ausgerichteten Klientelwirtschaft) das den Auflagen der Weltbank und des IWF entsprechende freie Spiel der Marktkräfte verfolgt. Als dessen Tragpfeiler gelten die Importliberalisierung, die Privatisierung sowie die Umwandlung eines Teils der ca. 30 Mrd. US-Dollar betragenden Außenschuld in einheimische Kapitalbeteiligungen. Faktisch begünstigt dies eine De-Nationalisierung der Binnenökonomie.

Militärisch wird seit Anfang 1987 ein „verfeinertes“ Aufstandsbekämpfungs-Konzept umgesetzt. Selbst die untersten politisch-administrativen Einheiten und judikativen Vollmachten werden zur Domäne des Militär, indem es sie entweder direktbesetzt oder gemeinsam mit Vigilantegruppen (Todesschwadronen) Kontrollfunktionen durch psychologische oder reale Kriegsführung wahrnimmt.

In unzertrennbarer Einheit bilden all diese Merkmale die landesspezifische Ausformung und Umsetzung des sogenannten „Low-Intensity Conflict“, des Kriegs niedriger Intensität. Diese Strategie verzichtet auf die massive (und kostspielige) US-Truppenpräsenz und initiiert selbst institutionelle, doch systemimmanente Reformen - bis hin zum Abtakeln politisch unkalkulierbar gewordener, „verbrauchter“ Diktatoren. Die Linke zwischen Terror

und „totalem Krieg“

Als Linke sind jene Kräfte zu charakterisieren, die mit parlamentarischen wie außerparlamentarischen (inklusive bewaffneten) Mitteln für einen Strukturwandel der Gesellschaft eintreten. Angestrebt wird eine Koalitionsregierung auf demokratischer, nationaler und blockfreier Basis.

Etliche namhafte Persönlichkeiten der legalen Linken sind bereits Opfer des - selektiven - neuen Staatsterrors geworden. Während die fortgesetzt wachsende Guerilla mit über 30.000 Mitgliedern einem Mehrfrontenkrieg ausgesetzt ist, der auf beiden Seiten in absehbarer Zeit militärisch nicht zu gewinnen ist.

Die politische Bündnisorganisation der illegalisierten Linken, die Nationale Demokratische Front (NDF), hat unter Aquino schwere, überwiegend selbstverursachte Rückschläge hinnehmen müssen: Seit ihrem 15jährigen Bestehen ließ sich die NDF von einer Art „trinitarischen Lehre“ des Antifaschismus, Antiimperialismus und Antifeudalismus leiten. Der Sieg eines der drei Elemente sollte gleichzeitig den der beiden anderen besiegeln. Der Kampf gegen die US -Marcos-Diktatur entfaltete indessen vor allem in den Städten eine unangenehme Eigendynamik. Daß die revolutionären Inhalte im entscheidenden Moment von bürgerlichen Kräften besetzt wurden, hatte der Machtwechsel ja deutlich demonstriert. Das US-Krisenmanagement wurde extrem unter- und die Marcos-Diktatur selbst noch in ihrer Endphase maßlos überschätzt. Die mit dem Aquino-Regime um die Jahreswende 1986/87 exclusiv in Manila geführten Waffenstillstandsverhandlungen fanden unter unnötiger Preisgabe elementarer Selbstschutzvorkehrungen statt. Infolge kam es zur Gefangennahme hochrangiger NDF-Kader, womit das Regime vorerst den Hauptnutzen aus der „goodwill show“ zog.

Andererseits droht die ernstzunehmende Gefahr sich verselbständigender militärischer Tendenzen. Vor allem in dem am meisten militarisierten Gebiet auf der südlichen Insel Mindanao haben verantwortliche Organe der NPA und kommunistischen Partei (CCP) das Diktum „Die Politik kommandiert die Gewehre“ in sein Gegenteil verkehrt.

Trotz dieser Fehler hat sich die Linke landesweit nicht zuletzt aufgrund ihrer bewußt vermiedenen Verstrickung in ausländische Abhängigkeiten behauptet und das „Projekt Befreiung“ aktualisiert. Der Ausbau demokratischer und lebensfähiger Gegenstrukturen in den bereits von ihr kontrollierten Gebieten, gekoppelt mit der Gründung einer Provisorischen Revolutionsregierung, gewänne in dem Maße Unterstützung, wie Manila an seinem „Projekt Befriedung“ festhält. Nur so ließe sich der programmierte Bürgerkrieg de -skalieren.