Die verschlungenen Wege der Emigranten

■ Wohin hat es diejenigen verschlagen, die 1969 hinausgesäubert wurden oder „freiwillig“ gegangen sind?

Martina Lilla

Am Geburtstag seiner Frau, dem 20.Mai 1969, kaufte der Regisseur Richard Lederer eine Fahrkarte Prag-Frankfurt und, um den Schein zu wahren, zurück. Das Prager Parteikomitee hatte ihm an diesem Tag Verrat militärischer Geheimnisse vorgeworfen und ihn vor die Alternative „mitmachen oder Gefängnis“ gestellt. Acht Jahre, die er von 1949-57 - als Totzkist verurteilt, der er gar nicht war - hinter Gittern verbringen mußte, waren schon zuviel. Er wählte das Exil. Kontakte zu westdeutschen Korrespondenten und Kameraleuten erleichterten ihm den Einstieg in den bisherigen Beruf in der neuen Umgebung. Einen Monat später folgten seine Frau und ihr gemeinsamer Sohn.

Den Hergang der Ereignisse beschreibt diese grobe Skizze zwar oberflächlich, um den Menschen mit seiner Lebensgeschichte tatsächlich zu erfassen, ist sie jedoch zu glatt. Jeder der tschechoslowakischen Emigranten erzählt seine Geschichte in trockenen Worten, als sei es die eines anderen. Vielleicht ist die Erinnerung nicht so angenehm, vielleicht die zeitliche Distanz zu groß; vielleicht verbirgt sich hinter den dürren, sachlichen Schilderungen der Wunsch, das eigene Schicksal nicht zum menschlichen Drama aufzubauschen. Engagierter werden die Stimmen der Gesprächspartner zumeist erst beim Thema Gorbatschow. In seiner Reformpolitik finden sie ihren Einsatz während des Prager Frühlings bestätigt. So scheint das eigene Leben doch nicht sinnlos gewesen zu sein. Mit nicht wenig Stolz erzählt der Jurist und Völkerrechtler Josef Pokstefl, daß ein Exemplar seines Buches von Moskau angefordert wurde, in dem er die Entwicklung der Prager Reformbewegung ausführlich dokumentiert hat.

Die Hoffnung, daß der „real existierende“ Sozialismus sich einmal in ihrem Sinne verändern werde, ja, werden müsse, haben viele der Prager Reformkommunisten von 1968 auch im Exil in sich getragen - und, je nach persönlichem Mut, auch in vorsichtigen Worten kundgetan. Josef Pokstefl glaubte bei seiner Emigration, daß es „zwischen drei und zwanzig Jahren“ dauern werde - nun hat es zwanzig Jahre gedauert.

Der derzeitige Optimismus, wie ich ihn bei jedem meiner Gesprächspartner empfunden habe, überstrahlt offenbar die vergangenen zwanzig Jahre der Trostlosigkeit und Resignation. Es mag die Fähigkeit in marxistischen Kategorien denkender Menschen sein, ihr eigenes Schicksal, ihren brutal verhinderten Reformversuch in historische Dimensionen einzuordnen, die ein Grund für die Distanz zu sich selbst sein könnte. Vergessen werden können diese Jahre jedoch nicht. Die Konsequenzen der „Normalisierungspolitik“ in der CSSR nach der sowjetischen Okkupation zeigen sich unter anderem in der besonderen Starrheit der tschechoslowakischen Führung heute. Die „Säuberungen“ in der KPTsch haben sie ihrer schöpferischen Kräfte beraubt. Diese befinden sich entweder im Exil oder stehen einflußlos am Rande der Gesellschaft. Nach der sowjetischen Invasion verließen an die 150.000 Menschen ihr Land, etwa 500.000 verloren ihre Anstellung, traten aus der KPTsch aus oder wurden ausgeschlossen. Der seit 1975 im französischen Exil lebende Schriftsteller Milan Kundera spricht von „einem Massaker an der tschechischen Kultur, wie es seit dem Dreißigjährigen Krieg in der Geschichte dieses Landes nicht mehr vorgekommen ist.“

Wir unterhalten uns auf einem kleinen Mäuerchen sitzend im Schatten eines Baumes. Nach längerer Krankheit sieht er jetzt wieder gesund aus, sein Gesicht hat einen jungenhaften Ausdruck: Zdenek Mlynar, 1968 als 38-jähriger Sekretär im Zentralkomitee der KPTsch, zog sich im November 1968 als Politikwissenschaftler in die Akademie der Wissenschaften zurück. Anfang 1969 trat er noch vor Dubcek von allen Parteifunktionären zurück und widmete sich fortan im Nationalmuseum Käfern und Schmetterlingen. Zu diesem Zeitpunkt hoffte er noch, daß sich nach ungefähr fünf Jahren die Situation wieder entschärfen und es zu einer Liberalisierung kommen würde. Doch er hatte sich geirrt nach fünf Jahren war alles „schlimmer“. Nachdem auch sein Appell an die Konferenz der Kommunistischen Parteien in Berlin 1976, die Eurokommunisten sollten die tschechische Frage dort zum politischen Thema machen, nahezu folgenlos verhallte, wurde ihm endgültig deutlich, daß es nicht möglich sei, den Reformkommunismus wiederherzustellen. Die Mit-Initiierung und Unterzeichnung der Charta 77 hatte zur Folge, daß er auch seine Anstellung im Nationalmuseum verlor und unter Hausarrest gestellt wurde. Ein halbes Jahr später nahm er schließlich das Angebot des österreichischen Bundeskanzlers Kreisky an und erhielt dort politisches Asyl.

Dubceks Ansprache gab das Zeichen

Anderen war schon früher deutlich, daß von ihren Reformen nichts mehr zu retten sein würde. Bei Vladimir Horsky, heute ebenfalls 58 Jahre alt, war es Dubceks Rundfunkansprache nach dessen Rückkehr aus Moskau. Intuitiv spürte er, „wir sind verloren, es gibt keinen Ausweg, da die Führung gebrochen ist und es keine andere gibt. Früher oder später kommt die totale Kapitulation.“ Diese Rundfunkansprache muß ein sehr prägendes Moment für viele Tschechen und Slowaken gewesen sein. In seinem Roman „Die unterträgliche Leichtigkeit des Seins“ schreibt Milan Kundera: “... die allgemeine Euphorie hatte nur die ersten sieben Tage der Besetzung angehalten. Die Repräsentanten des Landes waren von der russischen Armee wie Verbrecher verschleppt worden, ... Inzwischen hatten die Russen die verhafteten Repräsentanten gezwungen, in Moskau einen Kompromiß zu unterzeichnen. Dubcek kehrte mit diesem Dokument nach Prag zurück und verlas seine Rede im Radio. Die sechstägige Gefangenschaft hatte ihn so zugerichtet, daß er kaum noch sprechen konnte, er stotterte und rang nach Atem, so daß zwischen den Sätzen unendlich lange Pausen entstanden, die bis zu einer halben Minute dauerten. Der Kompromiß bewahrte das Land vor dem Schlimmsten: vor Hinrichtungen und Massendeportationen nach Sibirien, vor denen alle entsetzliche Angst hatten. Eines aber war sofort klar: das Land würde sich vor seinem Eroberer beugen müssen und für immer stottern und nach Luft ringen wie Alexander Dubcek. Das Fest war vorbei. Es folgte der Alltag der Erniedrigung.“

Der Soziologe Horsky entschloß sich, ins Ausland zu fahren, nahm dort aber vorerst eine abwartende Haltung ein. Zweimal reiste er noch nach Prag, um mit politschen Freunden über seinen Entschluß zu diskutieren. Erst im Spätsommer 1969 fiel die endgültige Entscheidung, als ihn in Österreich die offizielle Aufforderung erreichte, zurückzukehren, andernfalls drohe ihm der Ausschluß aus der Partei und von seinem Institut. Er kehrte nicht mehr zurück. Kurz nach Kriegsende war er bereits als 16jähriger in die Partei eingetreten. Seither hatte er immer irgendeine Funktion auf Fakultäts- oder Institutsebene inne, bis er sich 1968 „das erstemal in Übereinstimmung mit der Partei als Ganzes befand“ und dem Prager Parteikomitee beitrat, das damals an der Spitze der Reformbewegung stand und später als das Konterrevolutionäre Zentrum bezeichnet wurde. Etwas bitter faßt Horsky dies als „nachträgliche Auszeichnung“ auf. Die Farbe seiner schlohweißen Haare läßt ihn älter wirken als andere seines Jahrgangs. Ich frage ihn nach seinen persönlichen Motiven, die Tschechoslowakei zu verlassen. Er habe sich analysiert, antwortet Horsky, und sei zu dem Ergebnis gekommen, daß er sich weder opfern noch verkaufen könne.

Freimütig erklärt mir Frantisek, ein Vertreter der jüngeren Generation - er war bei seiner Flucht 1968, zehn Tage nach der sowjetischen Invasion, erst 21 Jahre alt und hatte keinerlei politische Funktion inne -, daß hauptsächlich das Interesse am Westen ihn trieb. Er sei eigentlich unpolitisch gewesen, doch wurde auch er 1968 „von der Entwicklung mitgerissen“. Dubceks Reden wurden auch in seinem Betrieb per Redio übertragen, er und seine Kollegen haben sich für die Reformen, nach anfänglichem Mißtrauen, soweit engagiert, daß sie dafür Geld gesammelt und gespendet haben.

Die Erfahrungen weitertragen

Als vorrangiges Motiv nannte mir jedoch Vladimir Horsky die Notwendigkeit, das westliche Ausland über den tatsächlichen Charakter des Prager Frühlings und der Intervention vom August aufzuklären. Durch seine eigene Präsenz wollte er dazu beitragen, Vorurteile auszuräumen, die es von rechter wie von linker Seite gab; den Linken entgegenzutreten, die den Reformkommunisten die „Rückkehr zum Kapitalismus“ vorwarfen, den Rechten, die sich freuten, daß die Tschechen den „Scheiß-Sozialismus“ loswerden wollten. Wie Horsky hielten auch noch andere Reformkommunisten an der Idee eines demokratischen Sozialismus fest, vertraten diese auf zahllosen Veranstaltungen, suchten die Debatte mit der westlichen Linken. Im Exil gründeten sie die Gruppe „Listy“, die sich „sozialistische Opposition“ nennt.

Weniger verständnisvoll als seine Kollegen von der „Listy„ -Gruppe geht Richard Lederer mit der westdeutschen Linken um. Wir unterhalten uns im Anschluß an eine Veranstaltung in Frankfurt, anläßlich derer die dortige linke Szene sich wiederum dem Streit über die „reine marxistische Lehre“ hingab: Revolution versus Reform, „wirklicher“ Kommunismus versus kapitalistische Marktwirtschaft. Seine Bitterkeit äußert sich in Wut. Die Kommunisten in der Tschechoslowakei waren „die einzigen echten Freunde der Sowjetunion aus Überzeugung“. Tschechen und Slowaken haben gelitten unter den Nazis, gegen die in erster Linie die Sowjetunion siegte. „Spinner und Nichtwisser“ beschimpft er die Linken, die diejenigen, die sich um „anständige sozialistische Reformen bemühten“, als Kapitalisten bezeichnen. Er fragt: „Wie kommen diese Leute dazu, über uns zu richten, diese Nachkommen von denjenigen, die einen Krieg begannen, der genau das verursachte, was wir reformieren wollten.“ Hier verteidigen sie die „reine Lehre“ und sehen dabei nicht, daß die sowjetische Vorherrschaft in den mittel- und südosteuropäischen Ländern eine Folge des Zweiten Weltkrieges ist.

Die Erfahrungen für andere verwertbar zu machen - damit haben sich viele meiner Gesprächspartner beschäftigt. Einige haben die ersten Exiljahre mit Schreiben und Forschen zubringen können, da ihnen durch Stiftungen Projekte ermöglicht wurden, in denen sie sich der kritischen Analyse des „realen Sozialismus“ widmen konnten. Gerade die westdeutsche Sozialdemokratie hat sich Anfang der 70er Jahre, in der Brandt-Ära, für die exilierten Genossen stark gemacht und für wissenschaftliche Projekte gesorgt. Der bekannte Ökonom Jiri Kosta wollte sich in Österreich niederlassen, wo ihm aber bedeutet wurde, daß er dort die Beziehungen des neutralen Landes zur CSSR stören könnte. So begann er ein Forschungsprojekt in München, bis er auf den Lehrstuhl für Sozialistische Wirtschaftssysteme an der Universität Frankfurt berufen wurde.

„Damals standen die Tschechen hoch im Kurs“, erklärt Vladimir Horsky. Das hat sich bereits vor Ende der siebziger Jahre geändert. Es galt, sich nach einer sicheren Arbeitsstelle umzusehen, da schließlich die Familie versorgt sein will - die fleißige Publikationstätigkeit fand für einige ihr Ende. Horsky arbeitet heute als wissenschaftlicher Bibliothekar im Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien. Eine Tätigkeit, die kaum seinen Fähigkeiten entspricht und ihn offensichtlich auch nicht befriedigt. Seit ihm die Politik Gorbatschows „zu neuem Leben erweckte“, verfolgt und kommentiert er wieder die große Politik. Zur Zeit schreibt er an einer Studie über die grundsätzliche politische Orientierung der KPTsch im Kontext der sowjetischen Einflußnahme seit dem Januar-Plenum der KPdSU 1987.

Den schon oben erwähnten Jurist Josef Pokstefl treffe ich in Köln wieder. Er arbeitet freiberuflich als Kommentator für die tschechische Redaktion des Deutschlandfunks. Auf diese Weise hat er einen gewissen Einfluß auf die Bewußtseinsbildung in der CSSR. „Der Effekt von wissenschaftlichen Arbeiten ist doch sehr gering.“ Sicher, in einer solchen Institution, die das Instrument der Deutschen Bundesregierung ist, muß er politisch aufpassen. Es war nicht ganz einfach für ihn, als jemand, der links geblieben ist, dort seine Position zu behaupten. Seine eigentlichen Auffassungen kann er dort nicht unbefangen vertreten. Andererseits habe es auch keinen Zweck, erläutert er, etwas gegen Reagan zu sagen, wenn die Leute in der CSSR es jeden Tag in 'Rude Pravo‘ lesen können.

Fortsetzung

Die verschlungenen Wege der Emigranten

linke Szene sich wiederum dem Streit über die „reine marxistische Lehre“ hingab: Revolution versus Reform, „wirklicher Kommunismus versus kapitalistische Marktwirtschaft. Seine Bitterkeit äußert sich in Wut. Die Kommunisten in der Tschechoslowakei waren „die einzigen echten Freunde der Sowjetunion aus Überzeugung“. Tschechen und Slowaken haben gelitten unter den Nazis, gegen die in erster Linie die Sowjetunion siegte. „Spinner und Nichtwisser“ beschimpft er die Linken, die diejenigen, die sich um „anständige sozialistische Reformen bemühten“, als Kapitalisten bezeichnen. Er fragt: „Wie kommen diese Leute dazu, über uns zu richten, diese Nachkommen von denjenigen, die einen Krieg begannen, der genau das verursachte, was wir reformieren wollten.“ Hier verteidigen sie die „reine Lehre“ und sehen dabei nicht, daß die sowjetische Vorherrschaft in den mittel- und südosteuropäischen Ländern eine Folge des Zweiten Weltkrieges ist. Die Erfahrungen für andere verwertbar machen

Die Erfahrungen für andere verwertbar zu machen - damit haben sich viele meiner Gesprächspartner beschäftigt. Einige haben die ersten Exiljahre mit Schreiben und Forschen zubringen können, da ihnen durch Stiftungen Projekte ermöglicht wurden, in denen sie sich der kritischen Analyse des „realen Sozialismus“ widmen konnten. Gerade die westdeutsche Sozialdemokratie hat sich Anfang der 70er Jahre, in der Brandt-Ära, für die exilierten Genossen stark gemacht und für wissenschaftliche Projekte gesorgt. Der bekannte Ökonom Jiri Kosta wollte sich in Österreich niederlassen, wo ihm aber bedeutet wurde, daß er dort die Beziehungen des neutralen Landes zur CSSR stören könnte. So begann er ein Forschungsprojekt in München, bis er auf den Lehrstuhl für Sozialistische Wirtschaftssysteme an der Universität Frankfurt berufen wurde.

„Damals standen die Tschechen hoch im Kurs“, erklärt Vladimir Horsky. Das hat sich bereits vor Ende der siebziger Jahre geändert. Es galt, sich nach einer sicheren Arbeitsstelle umzusehen, da schließlich die Familie versorgt sein will - die fleißige Publikationstätigkeit fand für einige ihr Ende. Horsky arbeitet heute als wissenschaftlicher Bibliothekar im Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien. Eine Tätigkeit, die kaum seinen Fähigkeiten entspricht und ihn offensichtlich auch nicht befriedigt. Seit ihm die Politik Gorbatschows „zu neuem Leben erweckte“, verfolgt und kommentiert er wieder die große Politik. Zur Zeit schreibt er an einer Studie über die grundsätzliche politische Orientierung der KPTsch im Kontext der sowjetischen Einflußnahme seit dem Januar-Plenum der KPdSU 1987.

Den schon oben erwähnten Jurist Josef Pokstefl treffe ich in Köln wieder. Er arbeitet freiberuflich als Kommentator für die tschechische Redaktion des Deutschlandfunks. Auf diese Weise hat er einen gewissen Einfluß auf die Bewußtseinsbildung in der CSSR. „Der Effekt von wissenschaftlichen Arbeiten ist doch sehr gering.“ Sicher, in einer solchen Institution, die das Instrument der Deutschen Bundesregierung ist, muß er politisch aufpassen. Es war nicht ganz einfach für ihn, als jemand, der links geblieben ist, dort seine Position zu behaupten. Seine eigentlichen Auffassungen kann er dort nicht unbefangen vertreten. Andererseits habe es auch keinen Zweck, erläutert er, etwas gegen Reagan zu sagen, wenn die Leute in der CSSR es jeden Tag in 'Rude Pravo‘ lesen können Das Exil hilft zumindest,

die persönliche Integrität

zu wahren

Zumindest in beruflicher Hinsicht hat mein ältester Gesprächspartner, der vor zwei Jahren emeritierte Prof.Kosta, das beste Los gezogen. Achtzehn Jahre lehrte, forschte und veröffentlichte er in seinem Fachgebiet, was er durchaus als befriedigend empfand. In der Tschechoslowakei war der dickbebrillte Ökonom, der zweisprachig in einer traditionell linken Intellektuellenfamilie aufwuchs, ebenfalls seit dem Krieg Mitglied der KP, hatte allerdings in den fünfziger Jahren - der Zeit der stalinistischen Säuberungen - Berufsverbot, die Eltern saßen im Gefängnis. Auf ökonomischem Gebiet begann die Reformbewegung bereits unter Novotny, so daß Kosta ab 1962 an dem von Ota Sik geleiteten Institut für Wirtschaftswissenschaften arbeiten konnte und Mitglied des Beratergremiums war, das das Reformprogramm mitausgearbeitet hat. Als im August 1968 die Panzer einrollten, befand er sich zur Erholung außerhalb Prags. Er fuhr zwar dorthin zurück, jedoch nicht in seine Wohnung, da ein Sowjet seinen Besuch angekündigt hatte. So beschloß er, ohne Emigrationsabsicht, vorerst ins Ausland zu fahren und abzuwarten. Erst als im Oktober 1969 die Säuberungen in den Instituten begannen, lehnte er eine Rückkehr ab. Seine Frau, so räumt Kosta auf Befragen ein, hatte mehr Integrationsschwierigkeiten als er - allein schon wegen der Sprache. Sie wurde, entgegen den bisherigen Gepflogenheiten, auf einmal „furchtbar abhängig“.

Das Exil ermöglichte den Prager 68ern zwar nicht in allen Fällen die Fortsetzung ihrer wissenschaftlichen Karriere, doch zumindest half es ihnen, ihre persönliche Integrität zu wahren. Indem sie publizierten, informierten und die Auseinandersetzung aufnahmen mit Sozialisten, Kommunisten, Marxisten, übten sie einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Diskussionen der hiesigen Linken aus. Bereits aus diesem Grunde haben sie hier eine positive Aufgabe ausfüllen können, die kaum von anderer Seite hätte so überzeugend bewältigt werden können. Der Bruch in den Biographien, den ich durch die Niederschlagung des Prager Frühlings vermutet hatte, findet sich nicht in Denken und Überzeugung dieser Menschen. Der Wechsel der Umgebung, der Freunde sowie oft der beruflichen oder politischen Tätigkeit stellt zwar einen großen Einschnitt in der eigenen Geschichte dar, grundsätzliche Orientierungen und Identifikationen vermochte er jedoch nicht zu verändern. Meine Frage nach solchen Änderungen kommentiert Milan Horacek mit den Worten: „Die meisten machen, was sie in der Tschechoslowakei auch getan hätten. Die Tschechen, die Du hier in den Kneipen siehst, hätten dort halt in einer anderen Kneipe gesoffen und die gleichen Probleme mit dem Geld gehabt.“

Ernsthaft zurück möchte jedoch keiner. Sie sind mit ihren 58 bis 67 Jahren schon zu alt, um sich dort wieder eine sinnvolle Existenz aufzubauen. Vladimir Hersky gibt zu, daß er sich „hier wohler fühlt als dort“. Und Zelenek Mlynars antwortet nur mit einem Zitat von Wolf Biermann, der auf eine ähnliche Frage erwidert habe, daß sich in seiner alten Heimat so viel ändern müsse, damit er zurückginge, daß es dann schon egal wäre, ob er hier oder dort lebe.