Mister Bush: Der Mann ohne Eigenschaften

George Bush will endlich Macht ausüben / Aber er gewann den Vorwahlkampf nicht als bester Mann, sondern weil er mehr Geld und eine bessere Organisation hatte / Als Mitglied der Elite der Ostküste kann er Reagans Populismus nicht wiederholen / Bush versucht krampfhaft, eigenes politisches Profil zu entwickeln  ■  Aus Washington Stefan Schaaf

George Bush for President? Die Meinungsumfragen sprechen gegenwärtig ebenso dagegen wie die Geschichte: eine Woche vor dem Beginn des Republikanischen Parteitages in New Orleans liegt George Bush nicht nur 17 Punkte hinter dem Demokraten Michael Dukakis zurück; seit Martin van Buren im Jahre 1837 ist es auch keinem amtierenden Vizepräsidenten mehr gelungen, ins Oval Office gewählt zu werden. Es mag mit dem Vize-Job zusammenhängen, einem Posten, auf dem sich Nelson Rockefeller als „Ersatzgerät“ vorkam; ein Posten ohne Prestige, der den Inhaber zur ewigen Nummer zwei verdammt. Ein Vizepräsident darf auf Beerdigungen fremder Staatsoberhäupter fahren, und nur wenn - wie zuletzt im Falle John F. Kennedys - das eigene Staatsoberhaupt unvorhergesehen beerdigt werden muß, bekommt der Vizepräsident eine Chance, aus der politischen Abstellkammer ins politische Rampenlicht geschoben zu werden.

Die Vizepräsidentschaft ist andererseits ein Posten, der wie zugeschnitten ist auf die Person George Bushs. Zeitlebens war er ein devoter Diener seiner Partei und ihrer Präsidenten, schon in den siebziger Jahren ließ er sich von Nixon und Ford auf undankbare Missionen schicken. Bush durfte vor der UNO für amerikanische Interessen strammstehen, er mußte den republikanischen Parteiapparat durch Nixons Watergate-Schurkerei und die Bruchlandung einer Präsidentschaft steuern und danach, als CIA-Boss, den Zorn des Kongresses auf den tief in die Watergate-Affäre verstrickten Geheimdienst ausbaden.

In all diese Posten, die er so stolz in seinem Lebenslauf aufzählt, war Bush ernannt worden, oft zu seiner eigenen großen Überraschung; akzeptiert hatte er sie nur unter Überwindung eines gewissen Widerstands, doch, so Bush zu seiner Frau, „man lehnt einem Präsidenten eine Bitte nicht ab“.

Ein Amt aus eigener Kraft?

Nun will George Bush zur Abwechslung ein Amt aus eigener Kraft gewinnen - ein Versuch, der in der Vergangenheit meist schief ging. 1964 scheiterte er im Kampf um einen Senatssitz, erfolgreich war er dann zwei Jahre später im Rennen um ein Abgeordnetenmandat für seine damalige Heimatstadt Houston/Texas. 1968 wurde er wiedergewählt; doch 1970 verzichtete er auf den Sitz, um erneut für den Senat zu kandidieren. Er wurde von Lloyd Bentsen geschlagen, ein Demokrat jener, doch wie Bush ein Millionär und politischer Konservativer. Die Medien tauften die beiden - die in diesem Jahr erneut gegeneinander antreten - wegen ihrer Ähnlichkeit „Tweedledee und Tweedledum“. 1980 wollte Bush gar Präsident werden und gewann sogar die Vorwahlen in Iowa, doch dann steckte Ronald Reagan ihn in die Tasche und machte ihn am Schluß mehr aus Not denn aus Überzeugung zu seinem Vizepräsidenten.

Nun hat George Bush genug vom Vize-Dasein und strebt selbst nach dem Top-Job im Oval Office, ein Amt, das ihm viele nicht zutrauen, für das er sich aber schon deswegen qualifiziert fühlt, weil er seit mehr als sieben Jahren an der mächtigsten Herrenrunde der Welt teilnehmen durfte. Ronald Reagans bravem Gefolgsmann, das hat seine diesjährige Kampagne deutlich genug gezeigt, fehlt es an Führungsprofil. Die Persönlichkeit Bushs ist in all den Jahren in Reagans Schatten immer weiter zusammengeschmolzen, eigene Positionen können weder Feinde noch Freunde ausmachen. Er sei der „perfekte Ja-Sager“, so Reagans ehemaliger Sprecher Larry Speakes, der konservative Kolumnist und Reagan-Fan George Will nannte Bush einen „Schoßhund“, der „dünn und blechern kläfft“. Im Vorwahlkampf hämmerten Bushs Gegner auf der schmalspurigen Identität des Vizepräsidenten herum, Robert Dole zeichnete ihn in einem Fernsehspot als einen Mann, der im Schnee keine Fußstapfen hinterlasse.

Doch Bushs Kampagne war zugkräftiger als der Kandidat an ihrer Spitze: feldzugmäßig organisiert, mit einer berstenden Kriegskasse, leistete sie sich nur in der ersten Runde in Iowa eine Panne. In New Hampshire hatte sie sich bereits gefangen, und am Super Tuesday im März kam der Bush-Zug vollends auf Touren und verschwand, die innerparteiliche Konkurrenz einmal abgehängt, in einem Tunnel des Vergessens. Das Interesse der Medien konzentrierte sich monatelang auf die demokratische Dukakis-und-Jackson-Show, bis diese beim Parteitag in Atlanta ihre Scheinwerfer wieder voll auf den republikanischen Gegner richtete.

Blinde Loyalität

Spott und Hohn wurden in Atlanta über Bush ausgeschüttet, den betuchten Sohn einer reichen Familie, der seine Jugend auf dem Golfplatz und im Yachtclub zugebracht hat und dessen Vorstellungsvermögen noch heute nicht ausreicht, sich in das Leben der amerikanischen Unterklasse hineinzuversetzen. Er sei ein „Mann wie Zahnschmerzen“, so der Texaner Jim Hightower in Atlanta, „wenn manche sagen, wir sollen nicht so streng sein mit ihm, denn er gebe doch sein Bestes, dann ist das ja gerade das Schlimme.“ Das beste, was Bush in den vergangenen sieben Jahren zu geben wußte, war seine blinde Loyalität: Ted Kennedy zählte die Skandale der Reagan -Administration auf, die George Bush nicht zu verhindern wußte, weil er „nie hinsah, sich nicht erinnerte, nie verstand oder nicht hingehört hat“. Im Gegensatz zu seinem Boss habe er die Mitverantwortung für alle Skandale der Administration, von Irangate bis zum blamablen Scheitern des Versuchs, den drogendealenden Diktator Panamas aus dem Amt zu treiben, geleugnet, sagte Kennedy: „Ronald Reagan akzeptiert die Schuld wie das Lob für die Politik der letzten acht Jahre. Anders George Bush, der auf Frage nach Frage nur seinen Kopf in den Händen begräbt und sich vor der Bilanz der Reagan-Bush-Fehler versteckt.“

Die völlige Aufgabe seiner politischen Identität als Ronald Reagans Vizepräsident war für George Bush ein bewußter Akt, ein persönlicher Eid, den er seit 1980 strikt befolgte. Weder in Kabinettssitzungen noch im Nationalen Sicherheitsrat äußerte er von Reagan abweichende Meinungen; wenn er mit dem Präsidenten nicht übereinstimmte, so teilte er es diesem beim wöchentlichen Mittagessen unter vier Augen mit. So weit ging seine Unterwerfung unter den selbstauferlegten Loyalitätseid, daß er nach dem Mordanschlag auf Reagan im März 1981 mit dem Auto anstatt dem Helikopter ins Weiße Haus zurückeilte. „Nur der Präsident landet auf dem Südrasen“ vor dem Weißen Haus, begründete Bush dies, außerdem mache der Hubschrauber zuviel Lärm und hätte womöglich die First Lady beim Ausruhen gestört.

Doch diese Unterwürfigkeit gehört seit jeher zum Charakterbild Bushs. „Sein ganzes Leben lang“, schreibt die Journalistin Gail Sheehy in einem Porträt, „hat George Bush versucht, niemanden direkt herauszufordern, egal was es koste. Vor allem nie eine Person mit Autorität oder Macht. Er beschwichtigt und sucht zu gefallen, und wenn es hart auf hart geht, so löst er sich in Luft auf.“

Reichtum von Geburt an

Gute Manieren und höfliches Benehmen wurde ihm in seinem Elternhaus eingetrimmt. Bei allen materiellen Annehmlichkeiten, die ihm in seiner Jugend zuteil wurden, eines hätten ihm seine Eltern nie verziehen: wenn er mit seinem Reichtum zu prahlen gewagt hätte. Reichtum umgab ihn vom Augenblick seiner Geburt am 12.Juni 1924 an. Die Familie besaß ein Haus, komplett mit Dienstboten, Gärtner und Chauffeur in Connecticut, einen Sommersitz in Maine und ein weiteres Haus in South Carolina, wo die Diener an kalten Wintermorgen für George ein Feuer im Kamin des Schlafzimmers anzündeten. George war ein guter und fairer Sportler, ein Teenager, den seine Eltern und sein Onkel Herbie einen „guten Jungen“ nannten, unter anderem, weil er nie über seine Grenzen hinausschoß. Patriotisch war er auch. An seinem achtzehnten Geburtstag meldete er sich freiwillig zur Marine. 1944 wurde er bei einem Bombenflug in Ostasien abgeschossen und von einem amerikanischen U-Boot aufgefischt.

Onkel Herbie war es auch, der dem jungen George nach dem Studium an der Elite-Universität Yale den Weg ins texanische Ölbusiness eröffnete. Mehrere hunderttausend Dollar schob der Investmentbanker als Kredit nach Texas hinunter, damit George „Zapata Petroleum“ gründen und im Golf von Mexiko nach Öl bohren konnte. Die nach dem mexikanischen Freiheitskämpfer benannte Company machte Bush zum Millionär; nach einigen Jahren begann Bush sich zu langweilen und streckte die Fühler in die Politik aus. Die republikanische Partei in Texas bestand in den frühen sechziger Jahren aus einem kleinen Häufchen politischer Extremisten, dominiert von der ultrakonservativen John-Birch-Society, in deren Augen Washington von einer Bande gottloser Kommunisten beherrscht wurde. Auch Bush war für sie ein Ostküsten -Liberaler, den es zu bekämpfen galt. Doch in jahrelanger Kleinarbeit gewann Bush Freunde und letztlich die Kontrolle über die Partei.

Doch 1964, bei seiner ersten Senatskandidatur, präsentierte er sich plötzlich als republikanischer Ultra nach dem Zuschnitt Barry Goldwaters, befürwortete einen knallharten Kurs in Vietnam und wetterte gegen Lyndon B. Johnsons Unterstützung der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Vier Jahre später hingegen, als Kongreßabgeordneter, legte er sich mit seinen reichen weißen Wählern an und stimmte für die Aufhebung der Rassentrennung im Wohnungswesen.

„Kandidat mit Erfahrung“

1980 war er die gemäßigte republikanische Alternative zum rabiaten Ideologen Ronald Reagan. Von Bush stammt das Etikett „Voodoo Economics“ für Reagans bizarre Wirtschaftsphilosophie; Bush war der „Kandidat mit Erfahrung“, der gegen den außenpolitisch unbeleckten Gouverneur aus Kalifornien antrat. Reagan aber hatte den Trend der Zeit besser erkannt als Bush. Als Sohn aus niedrigen Verhältnissen und als Neuling auf dem nationalen politischen Parkett wetterte er gegen das Establishment im allgemeinen und das in der Bundeshauptstadt im besonderen. Mit den Steuergeldern der Bürger mache sich das Bürokratenpack in Washington ein schönes Leben, nun sei es Zeit aufzuräumen mit den verschwenderischen Schreibtischhockern. Reagan gewann die Nominierung und dann auch die Wahl gegen Jimmy Carter, weil er eine neue politische Koalition aufgebaut hatte, die nicht nur zuvor passive Republikaner, sondern auch viele konservative Demokraten einschloß.

Republikanische Funktionäre und Wahlstrategen wissen, daß es fast unmöglich sein wird, diese Reagan-Koalition aus aufstrebenden Mittelständlern, desillusionierten Gewerkschaftlern, religiösen Fundamentalisten und außenpolitischen Hardlinern im November hinter George Bush zu vereinigen. George Bush war schon 1980 nicht ihr Kandidat, und seine damalige plötzliche Wandlung zum Reaganist kann bis heute nicht darüber hinwegtäuschen, daß er ein Kind der verhaßten hochnäsigen Ostküsten-Elite ist.

Obendrein ist der Mantel Reagans, in den sich Bush in den Vorwahlen so erfolgreich wickelte, nach sieben Jahren von Skandalen verschmutzt, man sieht ihm die Iran-Contra-Affäre ebenso an wie die ethischen Entgleisungen des Reagan-Freunds Meese, auch das gigantische Defizit der Staatskasse hat große Löcher gerissen. Doch den Mantel abzulegen, hat Bush im Wahlkampf nur sehr langsam gewagt. Er will auch weiterhin keine Steuern erhöhen, militärische Stärke bewahren, das SDI -Programm fortsetzen und die Contras unterstützen. Doch nachdem er mehrere Wochen lang der Kabale der Reagan -Administration mit Panamas Diktator Noriega zugeschaut hatte, wagte er sich mit der Bemerkung vor, daß ein Präsident Bush mit Drogenhändlern nicht verhandeln würde.

Keine politische Identität

Republikanische Amtsträger verloren die Geduld, als deutlich wurde, daß Bush eine zu blasse Reagan-Kopie abgeben würde, um noch einmal eine Wahl für die Partei zu gewinnen. Immer lauter drängten sie ihn, klarer und aggressiver eine politische Identität zu entwickeln, wenn er die Geschicke seiner Kampagne noch zum Besseren wenden wolle. Meinungsumfragen zeigen, daß die Wählerschaft mittlerweile der Demokratischen Partei eher zutraut, mit Problemen wie Armut, Drogen oder dem Haushaltsdefizit umzugehen. 56 Prozent der von der 'New York Times‘ in der vergangenen Woche Befragten glauben, daß die Demokraten mehr für die Mittelklasse tun würden, nur 28 Prozent trauen dies eher den Republikanern zu. Eine Mehrheit der Demokraten, die 1980 und 1984 ihre Stimme für Ronald Reagan abgegeben haben, wollen bei dieser Wahl zu ihrer eigenen Partei und zu Michael Dukakis zurückkehren. Das deutlichste Mißtrauen aber schlägt Bush unter Frauen entgegen, bei Wählerinnen führt Dukakis 15 bis zwanzig Punkte deutlicher als bei männlichen Wahlberechtigten.

Besonders am rechten Rand der Republikaner zeichnet sich eine Rebellion ab, falls Bush die geheiligten Moral -Grundsätze der Partei-Ultras - Stichwort: Abtreibung und Schulgebet - nicht gebührender in seine Wahlreden aufnimmt. Viele Parteiaktivisten, die in den Vorwahlen den fundamentalistischen Fernsehprediger Pat Robertson oder den New Yorker Abgeordneten Jack Kemp unterstützt hatten, drohen mit einer Verweigerung ihrer Hilfsdienste, wenn es im November die Wähler im ganzen Land an die Urnen zu mobilisieren gilt.

Zumindest, so fordern die Bannerträger am rechten Parteiflügel, solle Bush einen der Ihren zum Vizepräsidentschaftskandidaten machen, vor allem Jack Kemp wird von ihnen immer wieder ins Gespräch gebracht. Bush hat über seine Präferenz bisher nichts außer einer Liste von etwa einem halben Dutzend Namen durchsickern lassen, das Geheimnis wolle er erst auf dem Parteitag in New Orleans lüften.