Standardsituationen

Eckhard Henscheid bringt den Fußball ins Theater  ■  PRESS-SCHLAG

Der Fußball kennt eigene Helden und fremde Schurken, den Widerstreit, Sieger und Versager, Schuld und Sühne. Ganz wie im Theater, nur daß der Ausgang nicht vorher im Reclam -Bändchen nachzulesen ist. (Und der etwas ältere Herr im schwarzen Jersey und schwarzen kurzen Hosen ist, so gesehen, eine Art moderne Nemesis.) Fußball und Theater sind keine getrennten Welten. Und nun gibt's Fußball im Theater. Eckhard Henscheid, der schon mit seinen „Anekdoten über Fußball“ (untergebracht in „Wie Max Horkheimer einmal sogar Adorno hereinlegte“) sich als versierter Kenner dieses Metiers auswies, hat das Theaterstück geliefert: „Standardsituationen“.

Es spielt nicht auf dem grünen Rasen. Kein nachgebautes Spielfeld auf der Bühne. Die Schauspieler haben nicht die Ingredienzen eines guten Fußballers, Ballsicherheit, Torriecher und dergleichen mehr auf die Bretter zu bringen, die bekanntlich die Welt bedeuten. Im Stadion gelassen ist genauso die an sich schon theatergerechte Choreographie aus Einzelaktion und Gruppendynamik.

Das Stück wirft vielmehr einen Blick hinter die Kulissen, in insgesamt 47 Einzelszenen. Der Profi nervös neben dem Telefon, weil er das großartige Transferangebot aus Turin erwartet. Oder im Smoking, fein frisiert und doch linkisch, unter die prominenten Gäste beim Festival in Bayreuth geraten. Oder nach gewonnener Meisterschaft halbnackt im Duschraum.

Einige Szenen sind bewußt angelehnt an so manche Anekdote, Peinlichkeit oder Affäre aus der bundesdeutschen Fußballgeschichte. So darf Helmut Rahn, der mit seinen beiden Toren gegen Ungarn 1954 Deutschland den Weltmeistertitel bescherte und danach mehr oder weniger versackte, in einer Kneipe mit Hilfe von Bier- und Schnapsgläsern seinen Saufkumpanen noch einmal vorführen, wie er damals die gegnerischen Reihen austrickste und den alles entscheidenden Treffer erzielte.

Der Fußballprofi ist nicht der Held, sondern die komische Figur. Das mag etwas ungerecht sein, theaterwirksam ist es allemal. „Der Grundtypus einer spezifischen und nicht allzu geheuren Aufsteigerklasse“ bekommt hier von Henscheid sein Fett ab.

Zusammengehalten werden die Einzelszenen durch drei Auftritte „vorm Toilettenspiegel“ eines Tormanns, bei dem Ähnlichkeiten mit Toni Schumacher durchaus erwünscht sind. Eine stumme Pantomime, er übt publikumswirksame Posen und Mimiken, streicht dauernd das Trikot zurecht. Ausführliche Regieangaben: „Er zupft an seinem Säcklein - auch dies wie zur Probe und auf Wirksamkeit hin. Er legt, gut sichtbar, das Säcklein von links nach rechts. Prüft im Spiegel. Dann das Säcklein von rechts nach links.“

Ein jähes Ende findet dieses Spiel jeweils durch die Ehefrau, die den Tormann zuerst zum Mittagessen, dann zum Kaffee und zuletzt zum Abendessen ruft.

Zwischendurch sind Mannschaftsaufstellungen eingestreut. Ob und „wie auch immer“ sie szenisch umgesetzt werden, überläßt der Autor „dem Konzept des Regisseurs“.

Eines dieser Konzepte kann ab September in Nürnberg/Fürth bestaunt werden, wo „Standardsituationen“ zur Aufführung gelangen wird.

Wenzel Müller

Eckhard Henscheid: „Standardsituationen“, Haffmans Verlag Zürich 1988. 155 Seiten. 10 Mark