Unter Birmas Staatschef eskaliert die Gewalt

Militärische Sondereinheiten schießen auf Demonstranten und Passanten / In Rangun wurden laut 'Radio Rangun‘ drei Volkspolizisten von Demonstranten enthauptet / Protestbewegung gegen Staatschef Lwin weitet sich aus / Der Widerstand ist gut organisiert  ■  Von Simone Lenz

Berlin (taz) - Am Montag, dem Tag des Generalstreiks, verweigerten die Sicherheitskräfte den Befehl, auf Demonstranten zu schießen. Tags darauf wurde eine vor zwei Jahren aufgebaute Sondereinheit, die 22. Division, in Birmas Hauptstadt Rangun eingesetzt. Am Mittwoch eröffnete diese, im Kampf gegen kommunistische und ethnische Separationsbewegungen schon vielfach erprobte Kampftruppe, Radio Rangun zufolge 15 mal das Feuer, um protestierende Menschenmassen auseinanderzutreiben. Dabei schossen sie vor einem Krankenhaus auch in eine Gruppe dort wartender Blutspender. Gleichzeitig bestätigte Radio Rangun den Tod von sechs Sicherheitsbeamten. Drei Volkspolizisten seien von Demonstranten enthauptet worden. Sollte die Ernennung Sein Lwins zum Staatspräsidenten und Parteichef von General Ne Win, dem Mann der 26 Jahre autokratisch regiert hatte, lanciert gewesen sein, ist dessen Kalkül vorerst nicht aufgegangen. Kein anderer Nachfolger hätte es vermocht, die Opposition so schnell zu radikalisieren und auf die Straße zu bringen.

Sein Lwin gilt als der meistgehaßte Mann der Nation. Bereits 1950 machte er sich einen Namen durch die Ermordung von Saw Ba U Giy, dem Gründer der Karen-Widerstandsbewegung, einer der ethnischen Minderheiten, gegen die die birmanische Armee seit 40 Jahren einen grausamen Bürgerkrieg führt. Seit Sein Lwin den Schießbefehl auf zwanzig Studenten erteilte, die 1962 gegen Ne Wins gerade an die Macht geputschtes Militärregime protestierten, hat sich der treue Gefolgsmann Ne Wins den Beinamen der „Schlächter“ zugezogen. Ihm wird auch das rigorose Vorgehen gegen Studenten bei den März- und Juni-Unruhen in diesem Jahr angelastet. Bereits zwei Tage nach seinem Amtsantritt bestätigte sich ein harter Konfrontationskurs. Am 29.Juli ließ er seinen Widersacher, den äußerst populären pensionierten General Aung Gyi nebst zwanzig seiner Gefolgsmänner verhaften. Die Erschießung von sieben Demonstranten am letzten Wochenende machte klar, daß Lwin seinen Methoden treu bleiben wird. Ex-General Aung Gyi hatte schon vor einem Jahr vor einer Eskalation der Gewalt gewarnt, falls nicht eine baldige Korrektur des birmanischen Sozialismus erfolge. Wie Sein Lwin war auch er einst Kampfgenosse und später Minister unter Ne Win. 1963 entledigte sich Ne Win jedoch des unbequemen Kritikers Aung Gyi, der eine Liberalisierung der staatlich kontrollierten und strikt autarken Wirtschaft reklamierte, und sorgte für dessen Parteiausschluß. Zum Volksheld avancierte Aung Gyi jedoch endgültig in diesem Frühjahr, als er in öffentlichen Briefen an Ne Win appellierte, für die Einhaltung der Menschenrechte gegenüber Studenten und ethnischen Minderheiten zu sorgen. Flugblätter, auf denen er für die Einführung des Mehrparteiensystems und rasche Wirtschaftsreformen plädierte, wurden zu Preisen von sieben US-Dollar gehandelt. Daß sich die Protestbewegung trotz der Verhaftung dieser wichtigen Symbolfigur nicht einschüchtern ließ, ist vor allem der Erfolg jener Schüler und Studenten, denen es seit letztem Herbst gelungen ist, eine clandestine Organisation aufzubauen.

Die jüngsten Unruhen brachen an verschiedenen Orten der Stadt und des Landes gleichzeitig aus und zweifellos war die Aktion koordiniert, geht aus birmanischen Quellen hervor. Kurz nach dem Parteikongreß im Juli, auf dem zwar wirtschaftliche Reformen beschlossen worden waren, der Vorschlag eines Mehrparteiensystems allerdings auf Ablehnung gestoßen war, formierte sich eine weitere Widerstandsfraktion, die „Demokratische Assoziation“. Sie fordert Sein Lwins Rücktritt sowie die Zulassung einer parlamentarischen Opposition. Darüber hinaus dringt diese Allianz auf Kompensationszahlungen an jene Familien, deren Töchter und Söhne bei den März- und Juni-Unruhen getötet wurden.

Ohne die Unterstützung der Armee werden diese Oppositionsbewegungen allerdings kaum etwas gegen die Zentralregierung ausrichten können. Die Loyalität der Militärs ist seit der drastischen Beschneidung ihrer Privilegien infolge der schlechten versorgungslage nicht mehr gesichert. Seit dem letzten mißlungenen Putschversuch 1976 kam es immer wieder zu Gerangel in der Führungsspitze der staatstragenden Armee. Besonders hervor taten sich dabei Absolventen der Defence Service Academie.

Ne Win gelang es bis dato die alte Garde gegen die jungen Offiziere auszuspielen und sorgte persönlich dafür, daß besonders talentierte Aufsteiger ins Ausland oder auf harmlose Posten versetzt wurden.

Unzufriedenheit unter den jungen Offizieren soll sich aber auch über die politische Mißwirtschaft der Zentralregierung breitgemacht haben. Während sie sich erfolgreich in der Aufstandsbekämpfung in den Grenzregionen des Landes engagiert haben. Amnesty International (ai) veröffentlichte in diesem Frühjahr einen erschütternden Bericht über Folter, Mißhandlungen und Morde an der Zivilregierung durch die birmanische Armee.