Spiekeroogs Robben überleben im Schaufenster

Noch sind die Hotels auf der ostfriesischen Insel ausgebucht / Die Inselbevölkerung und die gesamte Region jedoch fürchten um 30.000 Arbeitsplätze im Tourismus / Niedersächsischen Behörden wird Ignoranz und Bürokratie vorgeworfen  ■  Aus Spiekeroog Wolfgang Gast

Vom drohenden ökologischen Nordsee-Kollaps, der Algenblüte und dem Sterben der Seehunde ist an diesen sonnigen Augusttagen wenig zu merken. Die Hotelbetten sind ausgebucht und täglich bevölkern mehrere tausend BesucherInnen die Strandkörbe und den Dünenstrand. Hinweise auf den Tod in der See finden sich lediglich auf den Anschlagstafeln der Kurverwaltung. Touristen werden aufgefordert, kranke oder tote Robben zu meiden und sie der Inselverwaltung zu melden. Robbenbilder aber zieren nach wie vor die Postkartenstände; eine Buchhandlung hat in der Auslage den Bestseller „Liebe in Zeiten der Cholera“ mit vier Kunststoff-Robbenbabys dekoriert.

Der Sonnen-Schein auf Spiekeroog, der Bilderbuch-Insel unter den ostfriesischen Eilanden, trügt, versichert deren stellvertretender Bürgermeister Christian Bauer. „Bei uns herrscht Handlungsbedarf“ sagt er, und „nicht wahrhaben zu wollen, daß die Seehunde auch hier bei uns sterben, wäre unseriös“. 200 Robben-Kadaver sind bislang registiert. Auf der Insel würden die Gäste schon seit langem mit der Situation der Nordsee konfrontiert, „die kriegen keinen einzigen Naturvortrag mehr, ohne den ganz knallharten kritischen Ansatz“. Christian Bauer, mit Unterbrechungen schon seit 42 Jahren auf Spiekeroog, ist auch Sprecher des Verbandes der ostfriesischen Inseln. Vorträge in der Inselhalle hat er selber schon gehalten, unter anderem zur Frage, „darf man in der Nordsee baden?“. Seine Antwort ist ein klares Ja. Aber „Wasser ist das eine - ein Öko-System das andere“. Die Besucher machten, so Bauer, zu oft den Fehler, daß sie die Gefährlichkeit des klaren durchsichtigen Wassers, in dem die Schadstoffe unsichtbar gelöst sind, nicht erkennen würden: „Im Grunde haben wir die gnadenvolle Situation, daß die Nordssee so trüb ist“, sagt Bauer weiter und weist mit einer Geste auf die etwa 500 Meter entfernt liegende Kläranlage. Das Trübe, so Bauer, das ist die Biomasse im Nordseewasser und ähnlich wie in der inseleigenen biologischen Kläranlage würden durch sie die Schadstoffe aus dem Wasser gefiltert. Das Gift freilich verbleibt in den lebenden Organismen und reichert sich dann über die Nahrungsmittelkette stetig an.

Allergisch reagierten die 650 InselbewohnerInnnen auf Vorwürfe, sie nähmen den Umweltschutz auf die leichte Schulter. Und Bürgermeister Bauer verweist auf eine Reihe von Initiativen. In den 70er Jahren wurden auf Antrag der Gemeinde über 60 Prozent der Inselfläche, die „Ostplate“, unter Naturschutz gestellt. Zu einer Zeit, als die auf dem Festland „an Umweltschutz noch gar nicht gedacht haben“ (Bauer). Die Bestimmungen im Naturschutzgebiet waren dabei weit schärfer gefaßt, als die jetzt mit der Einrichtung des „Nationalpark Wattenmeer“ gültigen. So sind die Insulaner verbittert, daß trotz Nationalpark-Planungen der Ausbau des Hafens in der Dollartmündung - nur wenige Kilometer von den friesischen Inseln entfernt - nicht gestoppt wurde. „Was nützt uns ein Nationalpark, wenn er von außen kaputt gemacht wird“.

Ignoranz und Bürokratie werfen die InselbewohnerInnen den niedersächsischen Behörden vor, die es zulassen, daß vor den Ostfriesischen Inseln Tanker auf dem Weg zum Ölhafen in Wilhelmshaven kreuzen dürfen, einige bis zu 90.000 Bruttoregistertonnen schwer. 90 Arbeitsplätze hängen an der Ölverladung, hatten die Behördenvertreter zur Rechtfertigung erklärt, aber ein einziges leckgeschlagenes Schiff mit 40.000 Tonnen Rohöl reicht, und das Biotop Wattenmeer ist für immer zerstört, und in der Folge auch die 30.000 Arbeitsplätze in der Region, die an den Fremdenverkehr gebunden sind. Besonderen Unmut hat sich der Bundesumweltminister Töpfer zugezogen. Noch 1980 hatte er öffentlich im Konsens mit dem Verbund der ostfriesischen Inseln erklärt, daß die Schadstoffeinleitungen auf Null gebracht werden müßten, um wenigstens den Status quo des gebeutelten Ökosystems Nordsee zu halten. In den letzten fünf Jahren hat sich die Situation in der Nordsee aber dramatisch verschlechtert und ein „Null“ bei den Schadstoffeinleitungen ist immer noch in weiter Ferne. „Wechsel auf unsere Zukunft haben sie gezogen“, sagt der Besitzer eines Andenken-Geschäftes, aber den Faktor Umwelt nie in die gesamtwirtschaftlichen Rechnungen aufgenommen. „Wenn wir hier um die Umwelt kämpfen, dann tun wir etwas ganz einfaches. Das ist nämlich der Ast, auf dem wir als Fremdenverkehrsort sitzen“.