Die sieben Weltmeere als Zwischenlager

■ 115 Giftmülltransporte hat Greenpeace in zwei Jahren gezählt / Immer mehr Giftschiffe vagabundieren

Jahrelang lief der Handel im Verborgenen, und stets in dieselbe Richtung: von Nord nach Süd. Mit den überquellenden Müllhalden der westlichen Zivilisationen konnte eine schnelle Mark verdient werden. Greenpeace berichtet von 115 bekanntgewordenen Giftmülltransporten nach Afrika und Lateinamerika allein in den vergangenen zwei Jahren. Betroffen sind Länder wie Mexiko, Senegal, Argentinien, Brasilien, Panama, Uruguay, Marokko, Gabun, Guinea-Bissau, Dschibuti, Simbabwe, Tunesien oder Südafrika.

In den meisten Fällen mußten sich die professionellen Giftmüllverschieber in Westeuropa und den USA in den armen Empfängerländern nicht lange um passende Geschäftspartner sorgen. Auf der Suche nach harten Devisen stellten Regierungen ökologische Gesichtspunkte hintan, wurden oft auch über die Gefährlichkeit dessen, was da in Fässern oder Containern ihre Länder überrollen sollte, im Unklaren gelassen.

Das wurde anders, als auch illegale Geschäfte aufflogen und afrikanische Regierungen drakonische Strafen für die „Müllterroristen“ ankündigten. Nigeria drohte im Fall des jetzt nach monatelanger Odyssee vor Ravenna dümpelnden italienischen Mülls sogar mit der Hinrichtung der Verantwortlichen. Die Regierung von Togo empörte sich, man wolle „Afrika zum Mülleimer der Reichen machen“. Libanon bemühte sich erfolgreich, ebenfalls aus Italien stammenden Müll wieder loszuwerden. Andere reagierten, bevor die giftige Fracht gelöscht werden konnte. Die Regierungen von Swasiland und Liberia lehnten gleich eine Reihe von Angeboten zur Giftlagerung in ihren Ländern ab. Von einer unbekannten Firma war der liberianischen Gesundheitsministerin angeboten worden, im Gegenzug ein dringend benötigtes Krankenhaus zu errichten mitsamt Medikamenten für eine Million Dollar. Die Regierung des winzigen Guinea-Bissau, ließ sich mit einer britischen Maklerfirma auf einen Vertrag ein, der dem Land innerhalb von fünf Jahren 15 Millionen Tonnen Sondermüll beschert hätte - dreimal mehr als insgesamt in der Bundesrepublik jährlich registriert wird.

Seit der internationale Mülltourismus in Nord und Süd die Öffentlichkeit beschäftigt, vagabundieren mehr und mehr Giftschiffe auf den Weltmeeren, ohne Chance, ihre Fracht loszuwerden. Selbst Tschernobyl wird so nochmal zum Thema: Ein Frachter mit verseuchtem Fleisch irrte auf der Suche nach einem Hafen monatelang durch die Nordsee, bis er schließlich in den Niederlanden entladen werden konnte. Und die „MS Petersberg“ dümpelt mit ihrem (nach bisherigen Untersuchungen) nur schwach radioaktiven Bauschutt weiter im Schwarzen Meer.

Gerd Rosenkranz