Der tödliche Engel in schwarz

■ Otto Premingers „Angel Face“ von 1953 mit Robert Mitchum und Jean Simmons als Wiederaufführung im Cinema

„Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt - es ist niemals gutzumachen.“

Der letzte Satz aus dem „Landarzt“ von Kafka paßt genau zur Geschichte von Frank Jessup (Robert Mitchum), der als Ambulanzfahrer nachts zum Einsatz in eine Villa gerufen wird und dort - schon auf dem Weg hinaus - der Tochter des Hausherren Diane Tremayne (Jean Simmons) begegnet. Sie sitzt im dunklen Raum am Klavier, er tritt aus dem Licht im Flur heraus auf sie zu, und da verläßt er auch schon unwiederbringlich sein geordnetes, ruhiges Leben. Das mit einer netten, blonden Freundin und den Plänen von der eigenen Autowerkstatt. Von nun an wird ihn die dunkele Schöne mit dem Engelsgesicht immer tiefer in ihre Welt hineinziehen, die beherrscht wird vom tödlichen Haß auf ihre Stiefmutter und von neurotischer Vergötterung des Vaters.

Er braucht nicht einmal mehr selber schuldig zu werden, wie noch in den früheren Filmen der schwarzen Serie, in denen die femme fatale den Mann immer zum Verbrechen anstiftete. In diesem späten Film noir rettet es ihn nicht mal mehr, daß er unschuldig an dem Verbrechen ist oder daß er ihre Intrigen und Tricks schnell durchschaut. Schon ihre Nähe ist tödlich für ihn. Es gibt nur zwei Aktionszenen im ganzen Film, keine Schlä

gereien und nicht eine Waffe ist zu sehen. Kein „Suspense“, und auch der komplizierte Plot fehlt einfach. All diese Äußerlichkeiten des Genres hat Preminger weggekürzt. Was bleibt ist Film noir pur, der sich in ruhigen Einstellungen ganz auf die Athmosphäre konzentriert. So folgt die Kamera vier Minuten lang nur Jean Simmons, die, nachdem sie ihre Stiefmutter, aber versehendlich leider auch ihren Vater getötet hat, traurig durchs verlassene Haus geht. Bis zu diesem Zeitpunkt war sie nur die berechnende , böse Frau. Aber durch diese Sequenz wird der Zuschauer gezwungen, auch mit ihr zu fühlen, er wird verunsichernd nahe zu ihrer Position geführt. Auch alle anderen Personen werden irritierend widersprüchlich portraitiert, jede beruhigende Identifikation wird unmöglich gemacht, keiner kann schnell verurteilt werden. Nur die düstere, unheilschwangere Grundstimmung ist in jeder Szene spürbar.

Preminger überschreitet hier beinahe die Grenzen des Genres, und vielleicht hat deshalb Jean Luc Godard, der in seinen Filmen auch immer die Regeln neu bestimmte, „Angel Face“ in seine Liste der Zehn besten amerikanischen Tonfilme aufgenommen.

Dabei ist „Angel Face“ eine billige, in sehr kurzer Zeit gedrehte Studioproduktion, die letztlich nur entstand, weil der

Produzent Howard Hughes sauer auf Jean Simmons war. Er hatte die Schauspielerin noch für kurze Zeit unter Vertrag, aber um ihn nach einem Streit ordentlich zu ärgern, ließ sie sich einfach ihre Haare ganz kurz schneiden . Hughes bat daraufhin Preminger, in kürzester Zeit den Film mit ihr zu drehen. Preminger fand das Drehbuch zwar scheußlich, aber Hughes gab ihm alle Freiheiten mit dem Stoff zu machen, was er wolle: im Studio könne Preminger sich „wie Hitler“ gebärden, Hughes wolle nur am Ende die Aufnahmen mit Jean Simmons mit einer Perücke aus langem, schwarzen Haar sehen. Das war die einzige Vorgabe zum Film.

Das Ergebnis war eine der besten schauspielerischen Leistungen von Jean Simmons: die faszinierende Mischung aus engelsgleicher Schönheit und kalkulierender Besessenheit verkörpert sie ideal. Aber der Star des Films ist Robert Mitchum, mit schläfrigen Augen, lakonisch und maulfaul. Wie er mit unerschütterlichem Phlegma seine Tiefschläge einsteckt, und wieder einmal beweist, das er neben Humphrey Bogart der beste Macho und Verlierer der Filmgeschichte ist, alleine das ist schon die Eintrittskarte wert.

Wilfried Hippen

„Angel Face“ spielt täglich im Cinema um 21.00 Uhr